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Prinz-Albrecht-Straße

Prinz-Albrecht-Straße

Titel: Prinz-Albrecht-Straße Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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Schneelandschaft freigaben. Aber er wußte, daß dieser Friede keinen Platz für ihn hatte, daß auch dieser einsame, verlassene Fleck Erde an der Moldau für ihn zur belagerten Festung werden konnte. Denn wo Formis ging und stand, lebte er im Kampf gegen das Unrecht, im Krieg gegen Hitler.
    Auf einmal empfand der einsame Mann eine wehmütige Sehnsucht. Er möchte aufhören mit dem Kämpfen. Er möchte nicht mehr Rufer in der Wüste sein. Er möchte … wie der Mann, der sich jetzt dort aus dem Schatten des Waldrandes löste, Feierabend haben, nach Hause gehen, wo Frau und Kinder auf ihn warten.
    Dann wurde sein schmaler Mund scharf und streng. Für diese Menschen tust du es ja, sagte sich Formis, damit sie ihren Frieden behalten, ihre Arbeit haben, den Feierabend genießen, damit die Freiheit nicht ausstirbt auf dieser Welt …
    Woher sollte er wissen, daß der Mann auf der Straße, Georg, den er so sehr beneidete, etwas ganz anderes suchte als Frieden, Frau, Kinder und Freiheit?
    Mit gebeugtem Rücken verließ Formis sein Zimmer. Manchmal glaubte er, die Bürde, die er für andere trug, nicht mehr aushalten zu können.

10
    Die Zeiger sind bis neunzehn Uhr sieben vorgerückt. Das Schicksal, das Formis von seiner Bürde fürchterlich entlasten sollte, versammelte sich im Haus. Eine Taschenlampe flackerte Kainszeichen in die Nacht. Ein Fenster ging ganz auf. Schnee knirschte. Das Seil wand sich über das Fensterbrett wie eine Schlange. Stahmer beugte vorsichtig den Kopf vor.
    Unten stand Georg. Der Strick straffte sich. Der Komplize hatte danach gegriffen.
    Plötzlich ging eine Tür auf. Ein Lichtstrahl aus dem Haus schnitt eine grelle Gasse durch den Schnee. Stahmer erstarrte. Unten ließ sich Georg fallen. Sein Körper schlug dumpf auf. Das Seil, dachte der Agent, das verfluchte Seil! Es hing am Haus herab. Stahmer kam sich vor, als hinge er selbst an diesem Strick.
    Von Georg war nichts mehr zu hören. Ein Wassereimer klatschte seinen Unrat hinter das Haus. Ein paar keifende tschechische Worte, eine Frauenstimme. Dann Schritte im Schnee. Sie kamen näher.
    Die Winternacht griff wie eine kalte Hand nach Stahmers Stirn. In der nächsten Sekunde mußte die Frau das Seil sehen. Unvermittelt entfernten sich die Schritte wieder. Es war still. Gespenstisch still. Nur der dumpfe Knall einer ins Schloß fallenden Tür zerriß die Ruhe für eine Sekunde.
    Stahmers Nerven waren so gespannt wie das Seil, an dem sich der andere nun zum zweiten Mal hochzog. Verdammt, fluchte er in sich hinein, warum klettert der Kerl nicht schneller? Jede Sekunde konnte die Tür wieder aufgehen. Vielleicht holte die Frau nur Verstärkung. Vielleicht standen sie jetzt alle schon auf der Treppe.
    Seine Ohren wurden zu zittrigen Fühlern, die die Nacht durchtasteten. Aber sie hörten nichts anderes als den schweren Atem des Mannes am Seil. Dann schob sich der Kopf durch das Fenster. Ein Arm streckte sich Stahmers Handgelenk entgegen.

11
    Neunzehn Uhr elf. Ira saß in der Gaststube wie angelötet. Sie bestellte einen Kaffee nach dem anderen. Die Speisekarte ließ sie zurückgehen. Ihr war schlecht, hundeelend, Formis hatte sich verspätet. Auf einmal faßte die junge Frau unsinnige, trügerische Hoffnung. Wenn er nun nicht käme, wenn er oben bliebe, wenn sie nicht mit ihm sprechen, ihn nicht aufhalten müßte, wenn sie mit der Entführung nichts zu tun hätte; überhaupt nichts?
    Der Kaffee blubberte in der Tasse, verzerrte das Spiegelbild ihres Mundes, der sich dem Rand entgegenhob. Iras Augen gaben keine Ruhe. Ihre Ohren erst recht nicht. Am liebsten wäre sie aufgesprungen, davongelaufen. Als draußen die Küchentüre zuschlug, verwechselte sie den Knall mit einem Schuß.
    In diesem Moment betrat Formis die Gaststube. Er bückte sich leicht, als er durch die niedrige Tür kam. Auf den Lippen der jungen Frau klebte ein starres Lächeln wie verwischtes Rouge. Nein, kein Schuß. Sie atmete auf.
    Der Mann mit dem Gelehrtenkopf nickte ihr zu, abwesend, fast ernst. Einen Augenblick stand er unschlüssig mitten in der Stube. An einem Tisch saß ein älteres Ehepaar, an einem anderen ein schweigsamer Bauer, der die Hand um ein Bierglas legte.
    »Herr Formis«, rief Ira unnatürlich laut.
    Der Mann hob den Kopf, dann kam er langsam auf sie zu. »Ich will nicht stören …«, sagte er ruhig.
    »Aber bitte …«
    Ira schämte sich vor sich selbst. Das infame Spiel hatte schon begonnen. Nein, sie wollte es nicht. Aber sie befolgte Stahmers Befehle und

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