Prinz-Albrecht-Straße
Sie Angst vor mir?«
»Nicht besonders«, versetzte Ira. »Und was machen wir dann?«
»Wintersport«, erwiderte er.
»Und was tun wir wirklich?«
»Ich suche einen Mann …«, antwortete der Agent. »Sie brauchen sich um gar nichts zu kümmern. Sie richten mir am Frühstückstisch die Brötchen … und streicheln mir ab und zu das Händchen … Und dann laufen Sie so viel Ski, wie Sie können … Ist das klar?«
»Ja … Und wenn Sie den Mann gefunden haben?«
»Weiß ich nicht«, entgegnete Stahmer. »Ich erhalte meine Weisungen aus Berlin … Sie übrigens auch …«
Die Sonne war verschwunden. Das Thermometer sank auf fünfzehn Grad. Stahmer nahm ab und zu eine Hand vom Steuer und schüttelte sie. Auf einmal ging eine seltsame Verwandlung in seinem Gesicht vor sich, es wurde freundlicher, wärmer.
»Bald …«, tröstete er Ira. Er nahm ihre Hand. »Du bekommst gleich einen heißen Grog …«
Die Straße wandte sich hinauf zu einem felsigen Berg, der wuchtig über der Moldau hing. Die Ortschaft Zahorski war zwei, drei Kilometer entfernt. Prag wiederum lag vierzig Kilometer südlich. Über der Gegend, die sie jetzt passierten, schwebte die Melancholie der Einsamkeit. Kein Mensch begegnete ihnen, kein Fahrzeug war unterwegs. Einmal blieb der Wagen stecken, Ira mußte anschieben. Endlich nahm er die letzte Kurve, bog auf den ausgeschaufelten Vorplatz.
Stahmer stieg aus, schüttelte die frostklammen Glieder, ging auf die andere Seite, half der Begleiterin aus dem Wagen. »Gepäck bleibt hier«, sagte er.
Ira hängte sich bei ihm ein. Sie überquerten den Vorplatz. Der Gastraum lag im Dämmerlicht; er war mäßig besetzt. Die Unterhaltung brodelte in Zischlauten. Die warme Stube empfing die Ankömmlinge kühl, alle Blicke prüften sie tastend, aber niemand kümmerte sich um sie.
Sie nahmen in einer Nische Platz, von der aus man den ganzen Raum übersehen konnte. Stahmer mußte vier-, fünfmal der Kellnerin winken. Der Grog ließ eine halbe Stunde auf sich warten. Dann wurde er lauwarm serviert. An diesem Ort waren Gäste aus Deutschland nicht beliebt. Bald würden sie noch verhaßter sein.
Stahmer rutschte auf der Bank dicht an Ira heran. Er sah ihr in die Augen, lächelte. Was ist das für ein Mann, überlegte sie. Gibt er sich so kühl, oder ist er es? Oder gehört dieses Gesicht jetzt auch zum Dienst?
Sie lächelte zurück. Das Spiel machte ihr Spaß.
Der bullernde Kachelofen wärmte die steifen Gelenke. Die starre Mißbilligung der Umsitzenden konnte er nicht auftauen.
Werner Stahmer hatte von Anfang an den Mann im Auge, als er die Gaststube betrat. Während er wegsah, photographierte ihn sein Gedächtnis, verglich er, stellte er fest: das ist er …
Rudolf Formis, fünfundvierzig Jahre alt, mittelgroß, hager, ein Mann mit dem Kopf eines Gelehrten, den feinnervigen Händen eines Künstlers und der Leidenschaft eines Märtyrers. In diesen Augen brannten Haß und Liebe. Liebe zur Heimat, Haß gegen die Unterdrücker. Sein Gesicht war geprägt von dem Wissen, daß er an jedem Tag, zu jeder Stunde und an jedem Ort den Tod zu erwarten hatte. Von seinen Feinden, die er bekämpfte. Sein Einsatz gegen Hitler schien unbedeutend, aber er war hoch.
Rudolf Formis sah sich um und setzte sich dann an einen Platz, der offensichtlich für ihn freigehalten wurde. Die Kellnerin brachte ihm unaufgefordert heißen Tee und eine Zeitung. Er las konzentriert. Einmal sah er über den Blattrand hinweg, streifte mit den Augen Stahmer, begegnete Iras Blick und wandte sich sofort höflich und zurückhaltend wieder ab.
»So«, sagte Stahmer, »und jetzt wird Quartier gemacht.«
Er stand auf und ging auf den Wirt zu.
»Können wir ein Zimmer haben?« fragte er.
Der Mann schüttelte verständnislos den Kopf. »Nerozumim némecky«, erwiderte er, »ich verstehe kein Deutsch …«
»Nur für ein paar Tage«, bat der unheimliche Gast weiter.
»Nemáme nie volny, bohuzel«, entgegnete der Hotelier lebhaft, »wir haben nichts frei, leider …« Er ließ Stahmer stehen.
Ein paar Sekunden war der Agent betroffen, machte eine hilflose Bewegung mit den Schultern, drehte sich bedauernd zu Ira um.
Der Mann mit der Zeitung, Rudolf Formis, hörte dem Gespräch zu, ohne es seinem Gesicht anmerken zu lassen. Sein Mißtrauen mußte größer sein als seine Hilfsbereitschaft. In dieses Haus einen hergelaufenen Deutschen aufzunehmen war viel zu gefährlich. Lebensgefährlich.
Er verfolgte Stahmer, wie er an seinen Tisch
Weitere Kostenlose Bücher