Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Prophezeiung der Seraphim

Prophezeiung der Seraphim

Titel: Prophezeiung der Seraphim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Vassena
Vom Netzwerk:
nicht anmerken, wie sehr ihn der Erzengel anwiderte. Er plauderte ebenso leicht wie sein Vater, erzählte davon, wie er aufgewachsen war und zog dabei alles, was er durchgemacht hatte, ins Lächerliche, sodass sein Vater mehrmals laut lachte.
    Ruben wischte die Soßenreste auf seinem Teller mit Brot auf und lehnte sich zurück. In ihm brannte eine kalte Flamme. »Stellt Euch nur vor«, sagte er kauend, »der Sohn des Erzengels beim Ziegenmelken!«
    »Dafür kannst du dich bei deiner Mutter bedanken.« Cal hob sein Weinglas und prostete ihm zu.
    »Vielleicht sollte ich das«, entgegnete Ruben, und der Erzengel stutzte einen Moment lang, aber dann grinste er. »Nicht notwendig, mein Sohn, das habe ich bereits für dich getan.«
    Ruben betrachtete das Messer auf seinem Teller. Wäre es spitz genug? Wäre er selbst schnell genug, sich über den Tisch zu werfen und es seinem Vater ins Herz zu stoßen? Seine Finger zuckten, und er verschränkte sie auf seinem Schoß.
    »Ich bin müde, Vater«, sagte er und stand auf. »Kann ich in mein Zimmer gehen?«
    Cal sah auf die Standuhr, die zehn Uhr zeigte.
    »Selbstverständlich. In deinem Alter ist es wichtig, genug zu schlafen.« Ruben glaubte, einen Hauch von Spott in seiner Stimme zu hören.
    Er war froh, dass er sich verabschieden konnte. Auf dem Weg zur Tür kam er an Cals Sekretär vorbei, auf dem allerlei Briefe und andere Schriftstücke lagen. Dazwischen entdeckte er das Lederband, an dem sein Amulett befestigt war. Ohne auch nur eine Sekunde nachzudenken oder innezuhalten, nahm Ruben es blitzschnell auf und versteckte es in der hohlen Hand.
    An der Tür schloss sich Villeraux ihm an. Ruben hatte nicht wenig Lust, ihn eine Treppe hinunterzustoßen: Musste der Rotschopf an ihm kleben wie eine Klette? Schweigend trabten sie durch die Gänge und Hallen der Abtei, die nur von wenigen Öllichtern erhellt wurden, während Ruben überlegte, wie er seinen Schatten loswerden konnte. Sollte er ihn in eine verlassene Kammer sperren? Aber selbst wenn ihm das gelang, konnte der Seraph Alarm schlagen. Womöglich war Villeraux ihm überlegen. Ruben wusste nicht, über welche Kräfte der Andere verfügte.
    Eine List war das Einzige, was ihm helfen konnte, doch sein Kopf war vollkommen leer. Er hatte keine Ahnung, wie er um Mitternacht zu der geheimen Pforte gelangen sollte, ohne dass jemand ihn entdeckte.
    Wohl oder übel ließ er zu, dass Villeraux ihn bis zu seinem Zimmer begleitete. Dann konnte er endlich die Tür hinter sich schließen und die Maske der Gelassenheit fallen lassen. Das Amulett war in seiner Hand warm geworden und er legte es um. Es tat gut, das vertraute Gewicht auf der Brust zu spüren. Ruben setzte sich aufs Bett und löschte die Lampe. Er starrte auf den Spalt unter der Tür, durch den mattes Licht hereinsickerte, und nach einer Weile sah er eine Bewegung. Sein Bewacher war auf dem Posten. Die Glocke der Abteikirche schlug halb elf.
    Ruben wünschte, er könnte sich in einen Vogel verwandeln wie Leda und sich einfach aus dem Fenster schwingen. Erst jetzt fiel ihm auf, dass sie ihn nicht wie versprochen besucht hatte. Der Gedanke an die junge Seraph bescherte ihm einen Einfall. So leise wie möglich stand er auf und schlich zum Fenster, öffnete es und lehnte sich hinaus. Aber die Mauer unterhalb besaß keine Vorsprünge oder Simse, auf denen er Halt gefunden hätte. Auch gab es in der Nähe kein anderes Fenster, das für ihn erreichbar war. Er drehte den Kopf nach oben, aber auch oberhalb seines Fensters gab es keine Möglichkeit, sich hinaufzuziehen. Entmutigt setzte er sich wieder auf sein Bett und starrte ins Dunkel. Als es elf schlug, zuckte er zusammen.
    Vielleicht war es besser, das Vorhaben aufzugeben. Gegen die erfahrenen Ratsmitglieder würden Julie und er niemals bestehen können. Wenn er die Pforte nicht öffnete, rettete er ihnen vielleicht sogar das Leben. Und solange der Erzengel Julie nicht hatte, konnte auch ihm, Ruben, nichts geschehen. Dann könnte er darauf warten, dass sich irgendwann eine Möglichkeit zur Flucht ergab.
    Doch als er an Rheas erstarrtes Gesicht dachte, stieg wieder ihr Duft in ihm auf, der in ihm einen Hunger erweckte nach etwas, das er noch nie gekostet hatte: Geborgenheit. Rhea musste ihn und Julie geliebt haben, sonst hätte sie nicht dafür gesorgt, sie vor Cal in Sicherheit zu bringen.
    Eine Viertelstunde vor Mitternacht öffnete Ruben die Tür seines Zimmers. Er zuckte zusammen: Villeraux löste sich aus den Schatten, als

Weitere Kostenlose Bücher