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Prophezeiung der Seraphim

Prophezeiung der Seraphim

Titel: Prophezeiung der Seraphim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Vassena
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zum Stall, so kommen wir ungesehen hinein.« Er nahm Julies Hand.
    »Wo sind wir?«, flüsterte sie.
    »Das ist das Stadthaus meiner Mutter.«
    Julie blieb abrupt stehen. Hatte er sie doch in die Falle gelockt?
    »Das ist der einzige Ort, an dem sie dich nicht suchen wird.«
    Nicolas trat dicht an sie heran, seine Hand strich über ihren Rücken, als versuchte er, ein aufgeschrecktes Pferd zu beruhigen. »Vertrau mir«, murmelte er.
    Schließlich nickte Julie. Sie musste sich ausruhen, essen und trinken, um ihre Kräfte wiederzugewinnen. Jetzt spürte sie, dass sie noch am Leben war und es auch bleiben wollte. Unter dem Tuch um ihren Bauch knisterte Jacques Lagardes Zeichnung.
    Nicolas brachte Julie in einen Seitenflügel des Palais. Die Läden waren verschlossen, über den Möbeln lagen weiße Tücher und es roch nach Staub und getrocknetem Lavendel.
    »Niemand kommt jemals hierher«, sagte Nicolas. »Und nur ich besitze einen Schlüssel.«
    Er zündete eine Lampe an und blendete sie ab, sodass nur ein schmaler Lichtstrahl herausdrang. Die Räume mussten seit Jahrzehnten unbewohnt sein. Im Vorzimmer lag der Staub wie ein grauer Teppich, den Kronleuchter überzog ein helles Gespinst aus Spinnweben. Der zweite Raum war ein Schlafzimmer. Als Julie sich auf das Himmelbett legte, brach der Überwurf wie Blätterteig. Staub kitzelte ihre Nase, und aus den Decken stieg ein muffiger Geruch, aber sie war viel zu erschöpft, um sich daran zu stören. Nicolas setzte sich neben sie.
    »Es tut mir leid, was geschehen ist. Aber wir hätten es nicht verhindern können.«
    Ganz sanft nahm er ihre Hände und hielt sie zwischen seinen, und diese Geste rührte Julie so sehr, dass sie das Gesicht abwandte. Mitgefühl machte alles nur noch schlimmer. Wenn sie die Fassung verlor, würde sie nicht mehr aufhören können zu weinen, und davor hatte sie am meisten Angst.
    »Meine Mutter ist ein Scheusal, das weiß ich besser als jeder andere«, fuhr er fort. »Aber hier ist für dich der sicherste Ort in Paris. Solange du keine Magie benutzt, kann sie nicht spüren, wo du dich aufhältst. Es ist nur für ein paar Tage, damit ich unsere Flucht vorbereiten kann.«
    »Flucht? Wohin?«
    »Wir müssen uns nach Le Havre durchschlagen, von dort nehmen wir ein Schiff in die Kolonien. Nach Mauritius vielleicht.«
    »Ich will aber nicht fliehen.« Julie wollte sich aufrichten, aber Nicolas steckte die Decke um sie herum fest.
    »Wir sprechen morgen darüber, jetzt ruhst du dich aus.«
    Tatsächlich schlief Julie trotz allem, was geschehen war, die ganze Nacht. Der Schrecken begann erst wieder, als sie aufwachte und sich erinnerte. Gabrielles blutverklebtes Haar, Jacques’ leere Augenhöhlen, Fédéric, der durch die Luft geschleudert wurde, Songe, die mit dem Cherub in den Nachthimmel stieg. Immer wieder krümmte sich Julie zusammen, aber sie weinte nicht, sondern verschloss ihren Schmerz tief in ihrem Inneren.
    Sich unter demselben Dach mit der Frau aufzuhalten, die innerhalb eines einzigen Tages ihr Leben zerstört hatte, war kaum erträglich. Sie hasste diese Frau mit solcher Kraft, dass sie glaubte, die Comtesse müsste ihre Anwesenheit spüren. Wie sie sich danach sehnte, ihrer Feindin von Angesicht zu Angesicht zu begegnen! Nur sie allein könnte erklären, weshalb sie ihr all das angetan hatte. Es musste einen Grund geben. Warum wollte die Comtesse sie unbedingt in ihre Gewalt bekommen?
    Ein Luftzug ließ Julie aufsehen. In der Ecke neben dem Ofen regte sich etwas. Staubflocken wirbelten auf. Julie traute ihren Augen kaum, als inmitten des Gestöbers eine weiße Katze erschien, heftig nieste und versuchte, sich mit der Pfote den Staub von der Nase zu wischen.
    »Songe!« Julie sprang aus dem Bett und nahm ihre Vertraute hoch. Schnurrend schmiegte sich Songe an sie und Julie ließ sich mit der Katze im Arm auf einem Diwan nieder. Songe wirkte zwar reichlich zerzaust, und eines ihrer Ohren war eingerissen, schien aber ansonsten wohlauf. Hier müsste mal wieder geputzt werden. Sie nieste noch einmal.
    Du lebst! Ich dachte, der Cherub hätte dich zerfetzt!
    Mich zerfetzen? Ich habe ihn zerfetzt und bin über einem Dach abgesprungen. Aber als ich wieder in der Rue Mouffetard ankam, warst du weg. Ich habe mir die Pfoten wundgelaufen, bis ich dich entdeckt hatte. Dieser Nicolas hat dir wohl inzwischen alles erzählt?
    »Dass ich eine Seraph bin? Ja, das hat er. Aber woher weißt du davon?«
    Songe begann sich das Fell zu lecken, die Geste hatte

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