Proust 1913
ihm der kurze Briefwechsel zwischen Astruc und Proust schließt zwar mit Formeln, doch darf man diese ruhig wörtlich nehmen: »Ich sage Ihnen Adieu, denn ich bin zu müde, um meinen Brief fortzusetzen, aber ich werde weiterhin über alles, was Sie mir geschrieben haben, nachdenken – mit dem tiefen Gefühl von Dankbarkeit, dessen ehrlichen und ergebenen Ausdruck ich Sie bitte empfangen zu wollen. Marcel Proust« ( XII , 390 )
Proust magert ab
Neben »ich bin müde, erschöpft, krank« und »ich habe Kummer« begleitet von Juni 1913 an ein drittes Leitmotiv die Briefe Prousts: »ich bin abgemagert«. Mitte Juni schreibt er an Colette d’Alton: »Ich bin kränker, als ich je war. Ich bin so sehr abgemagert, dass Sie mich nicht wiedererkennen würden.« ( XII , 202 ) Ebenso einige Tage später an Max Daireaux: »Ich bin so sehr abgemagert, dass Sie mich nicht wiedererkennen würden.« ( XII , 204 ) Am 12 . Oktober an Lionel Hauser: »Entschuldige, lieber Lionel, dass ich diesen Brief auf Geschäftliches beschränke; Du weißt ja vielleicht, dass ich einen abscheulichen Sommer verbracht habe, ich bin in einem solchen Ausmaß abgemagert, dass Du mich nicht wiedererkennen würdest, und ich muss die letzten Korrekturabzüge meines Buches durcharbeiten; das Briefeschreiben wurde mir verboten, außer in Notfällen, wie diesem, wo ich meine Miete bezahlen sollte!« ( XII , 275 ) Noch deutlicher formuliert er es zwei Wochen später gegenüber Maurice Barrès: »ich bin erschöpft vor Mühsal, man verbietet mir, Briefe zu schreiben, ich habe die Hälfte meines Gewichts verloren.« ( XII , 285 ) Ende November taucht das Thema in einem Brief an die zeitweise in Florenz wohnhafte Madame Hugo Finaly wieder auf, in dem Proust auch von seinem Wunschtraum berichtet, sich in Italien niederzulassen, einem Traum, den er kurz vor dem Ende von
La Prisonnière
seinem Protagonisten weitergeben wird: »Beinahe wäre ich Ihr Nachbar geworden. Ich weiß nicht, ob Sie es erfahren haben, mein Zustand hat sich nämlich in diesem Jahr erheblich verschlechtert, ich bin über die Maßen abgemagert, außerdem überkommen mich ständig Widerwärtigkeiten und Kümmernisse, und ich hatte deshalb vor, ein Haus in der Nähe von Florenz zu mieten und mich dort niederzulassen, um ohne allzu große Mühe all diese schönen Dinge sehen zu können, doch ich musste verzichten, zumindest vorläufig, und habe mich wieder in Paris niedergelassen.« ( XII , 340 )
So entlassen wir einen zwar abgemagerten, aber um ein Buch und um zukunftsträchtige Erfahrungen bereicherten Proust in das Jahr 1914 , ein Jahr, das ihm weitere Kümmernisse bescheren wird: unfreundliche Rezensionen in der
Nouvelle Revue Française
und im
Mercure de France,
den Tod Agostinellis, den Weltkrieg mit all den gefallenen Freunden; daneben aber auch die Genugtuung darüber, jetzt von anderen Verlegern, besonders der
Nouvelle Revue Française
umworben zu werden, und vielleicht auch Schaffensfreude, wie er sie in der
Recherche
seinem fiktiven Komponisten Vinteuil andichtet, denn von 1914 an arbeitet Proust an einem völlig neuen Teil seines Romans, dem Albertine-Zyklus.
I. Picasso: Gitarre, Collage 1913
II. La Prose du Transsibérien obere Hälfte
III. La Prose du Transsibérien untere Hälfte
IV. Sainte-Chapelle
V. Sankt-Anna-Portal
VI. Concerts Touche
VII. Ballets Russes
VIII. Placard 1
Zitiertes und Angedeutetes
Marcel Proust,
Correspondance,
Paris, Plon, 1970 – 1993 ( 21 Bände). Nachweise in Klammern mit Band- und Seitenzahl.
Marcel Proust,
Werke,
Frankfurt am Main, Suhrkamp, »Frankfurter Ausgabe«, 1988 – 2007 ( 14 Bände). Nachweise in Klammern mit Bandtitel und Seitenzahl.
Marcel Proust,
À la recherche du temps perdu,
Paris, Gallimard, »Bibliothèque de la Pléiade«, 1987 – 1989 ( 4 Bände). Nachweise in Klammern mit Angabe »Pléiade«, Band- und Seitenzahl.
Vom Autor korrigierte Druckfahnen von
Du côté de chez Swann
(Placards), Bibliotheca Bodmeriana, Cologny.
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1 : Verf., »Rädergeratter und Glockengebimmel. Zu einer Halbschlafphantasie Marcel Prousts«, in:
Die Halbschlafbilder in der Literatur, den Künsten und den Wissenschaften,
Hg. Roger Paulin/Helmut Pfotenhauer, Würzburg, Verlag Königshausen & Neumann, 2011 .
2 : Émile Mâle,
L’Art religieux du XIII e siècle en France,
Paris, 1910 , S. 35 .
3 : Jacques Chailley,
40 000 ans de musique,
Paris, L’Harmattan, 2000 , S. 296 .
4 : Lucien Aressy,
À la recherche de Marcel
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