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Psychopath

Psychopath

Titel: Psychopath Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Keith Ablow
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nicht zehn?, wütete er im Stillen. Warum die Bestie in Versuchung führen? Er umklammerte das Lenkrad noch fester, bis seine Fingernägel sich in seine Handballen gruben und fast die Haut aufrissen. Das Fieber ließ kalte Schauder über seinen Nacken und seine Kopfhaut laufen. Die Rippen pressten sich schmerzhaft gegen seine aufgeblähte Lunge.
    Halb widerwillig wandte er seinen Kopf und sah eine Frau auf dem Fahrersitz des Saab eine große Straßenkarte studieren, die sie über dem Lenkrad ausgebreitet hatte. Sie musste so um die fünfundvierzig sein. Im Profil verfehlte ihr Gesicht nur knapp das klassische Schönheitsideal – ihre Nase war ein bisschen zu groß, ihr Kinn ein bisschen zu fliehend. Krähenfüße verrieten, dass sie zu viel grübelte. Ihr braunes Haar war kurz geschnitten und sorgsam zurechtgekämmt. Sie trug eine schwarze Lederjacke. Auf dem Armaturenbrett vor ihr lag ein Handy
    Jonah musste sie nur ansehen, und schon war er hungrig. Ausgehungert. Hier, keine zehn Meter entfernt, war eine lebende, atmende Frau mit einer einzigartigen Vergangenheit und Zukunft. Kein anderer Mensch hatte exakt die gleichen Erfahrungen gemacht oder exakt die gleichen Gedanken gedacht. Unsichtbare Bande verknüpften sie mit ihren Eltern und Großeltern, vielleicht Geschwistern, vielleicht einem Ehemann oder Liebhabern oder beidem. Vielleicht Kindern. Freunden. Ihr Gehirn enthielt die Daten, die sich angesammelt hatten, indem sie mal hier, mal dort etwas ausgewählt hatte, was sie lesen und ansehen und anhören wollte, geleitet von Interessen und Fähigkeiten, die mystische und unergründliche Teile von ihr waren. Von ihr, einem unvergleichlichen menschlichen Wesen. Sie hegte Vorlieben und Abneigungen, Ängste und Träume und (mehr als alles andere) Traumata, die ihr allein eigen waren – es sei denn, sie würde sie aus sich herauslocken lassen.
    Stechender Schmerz explodierte in Jonahs Augen. Er wandte den Blick ab, starrte fast eine Minute lang auf den Highway in der Hoffnung, ein weiteres Auto würde abbremsen und auf den Rastplatz abbiegen. Keines kam.
    Warum schien es immer so leicht? Beinahe arrangiert. Sogar vorherbestimmt. Er suchte nie nach seinen Opfern; er fand sie. Richtete das Universum es so ein, um ihn mit der Lebenskraft anderer zu speisen? Suchten die Leute, die seinen Weg kreuzten, nach ihm? Hatten sie unbewusst einen ebenso unausweichlichen Drang zu sterben, wie er den Drang hatte zu töten? Wollte Gott sie im Himmel haben? War er eine Art Engel? Ein Todesengel? Der Speichel in seinem Mund wurde zähflüssig. Das Pochen in seinem Kopf stellte jetzt jedes Kopfweh, jede Migräne in den Schatten. Es fühlte sich an, als würden ein Dutzend Schlagbohrer sich einen Weg aus seinem Schädel herausbohren, durch seine Stirn, seine Schläfen, seine Ohren, nach unten durch seine Gaumenplatte, seine Lippen.
    Er überlegte, sich selbst zu töten, ein Impuls, den er vor jedem Mord verspürte. Das Rasiermesser in seiner Tasche würde seinem Elend ein für alle Mal ein Ende setzen. Doch er hatte nur halbherzig versucht, sich das Leben zu nehmen. Flache Ritzer an seinen Handgelenken. Fünf oder zehn Pillen statt fünfzig oder einhundert. Ein betrunkener Sprung aus einem Fenster im ersten Stock, bei dem er sich das rechte Wadenbein gebrochen hatte. Es waren Selbstmord gesten , nichts weiter.
    Tief in seinem Herzen wollte Jonah leben. Er glaubte noch immer, er könne in diesem Leben Buße tun. Unter all seinem Selbsthass, tief im Kern seines Wesens, liebte er sich noch immer so bedingungslos, wie er betete, dass Gott es tat.
    Er schaltete die Innenbeleuchtung des BMW ein und drückte einmal kurz auf die Hupe, spann angewidert den ersten klebrigen Faden seines todbringenden Netzes. Die Frau fuhr erschreckt zusammen, dann sah sie zu ihm herüber. Er beugte sich vor und hielt beinahe schüchtern einen Finger hoch, dann ließ er sein Seitenfenster nicht ganz bis auf halbe Höhe herunter, so als sei er nicht sicher, ob er ihr trauen könne.
    Die Frau zögerte, dann öffnete sie ihrerseits das Seitenfenster.
    »Entschuldigen Sie bitte«, sagte Jonah. Seine Stimme war samten und tief, und er wusste, dass sie eine beinahe hypnotische Wirkung hatte. Die Leute schienen es nie müde zu werden, seiner Stimme zu lauschen. Sie unterbrachen ihn nur selten.
    Die Frau lächelte, doch es war ein angespanntes Lächeln, und sie sagte nichts.
    »Ich weiß, ähm ... es ist viel verlangt ... aber, ähm ...« Er stotterte absichtlich, um

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