Pubertät – Loslassen und Haltgeben
Grenzüberschreitungen fordern Heranwachsende heraus: Sie wollen ein einfühlendes, ihrem Alter angemessenes Verstehen von den Erwachsenen. Aber es verwirrt sie, wenn Verständnis mit Akzeptanz gleichgesetzt wird. Für Eltern und pädagogisch Handelnde gilt somit: Wer sich in Jugendliche und in deren – manchmal zerstörerische – Aktivitäten hineinversetzt und bestimmte Handlungen als Ausdruck von Pubertätskrisen deutet, darf dies nicht mit nachsichtiger Akzeptanz verwechseln. Auch durch Vandalismus und Zerstörung wollen Pubertierende – so merkwürdig es auch klingt – eine Auseinandersetzung über Gut und Böse, Richtig oder Falsch führen, eine Auseinandersetzung, in der der Erwachsene Partner und Kontrahent zugleich ist.
Und in diesen Auseinandersetzungen reagieren Heranwachsende äußerst sensibel auf falsche Töne – auch wenn dies in merkwürdigem Widerspruch zu ihren Worten und Taten stehen kann. Erwachsene neigen dazu, Heranwachsende und ihr Verhalten in einen Topf zu schmeißen: «So etwas macht man nicht.Bist du denn völlig durchgeknallt?» Oder: «Mach nur so weiter, dann wirst du schon sehen, was du davon hast!» Dann folgt nicht selten ein Bruch der Beziehung, ein Stillstand der Kommunikation, ein drastischer Gefühlsausbruch oder ein erbitterter Machtkampf. Pubertierende wollen auch dann als Person angenommen sein, wenn sie Grenzen überschritten haben. Kritik an ihren Handlungen können sie aushalten und annehmen, wenn die persönliche Würde respektiert wird und unangetastet bleibt – nach dem Grundsatz: «Ich mag dich. Doch was du getan hast, war nicht in Ordnung!»
«Aber das ist», so wirft Adrians Mutter ein, «das ist verdammt schwer, vor allem, wenn etwas passiert ist. Als mein Sohn neulich von der Polizei nach Hause gebracht wurde, weil er im Kaufhaus etwas geklaut hatte, da brach für mich eine Welt zusammen. Ich wollte schreien, aber dann sah ich Tränen in seinen Augen. Adrian wollte mich nicht unter Druck setzen. Das waren Tränen der Verzweiflung, der Trauer, der Scham. Da hab ich ihn in den Arm genommen. Ich hab ein gutes Gespür gehabt. Er musste den Schaden sofort wiedergutmachen. Aber Sie hätten die Reaktionen meiner Eltern hören sollen: Schimpf und Schande! Die sehen ihn schon als Verbrecher. Aber ehrlich, ich bin froh, wenn er diese Pubertät, diese Zeit, hinter sich hat. Diese ständigen Aufs und Abs, die machen mich fertig!»
In vielen Seminaren und Gesprächen werde ich darauf angesprochen, ob der Begriff Pubertät nicht unzeitgemäß sei, weil er verengt, ob Begriffe wie Adoleszenz oder Jugendalter nicht angemessener wären. Tatsächlich beschreibt die Pubertät – von lateinisch pubes: Schamhaar, pubertas: Geschlechtsreife – zunächst nur körperliche Veränderungen, also jene Zeit im Anschluss an die Kindheit, in der sich die Geschlechtsreife entwickelt und sich der kindliche in einen erwachsenen Körper verwandelt. Veränderungen – häufig zeitlich versetzt – vollziehen sich auch in dengeistigen, seelischen und gefühlsmäßigen Persönlichkeitsanteilen: Das Denken wird abstrakter, die Welt, die Zukunft werden zum Thema. Größenphantasien und Verzweiflung gehen nicht selten Hand in Hand. Der Begriff der Adoleszenz beschreibt damit die psychischen, emotionalen und sozialen Veränderungen. Deshalb unterscheiden einige Autoren zwischen Pubertät und Adoleszenz und bestimmen die Begriffe so: Während die Pubertät vom 11. bis zum 15. Lebensjahr dauert, beginnt die Adoleszenz etwa im 14. Lebensjahr.
Ich spreche durchgängig von Pubertät, weil ich die
Wechselwirkung
von körperlichen, geistigen und gefühlsmäßigen sowie sozialen Veränderungen betonen möchte. Dabei unterscheide ich drei Phasen: Die Vorpubertät (erste Phase) reicht vom 11. bis 14. Lebensjahr. Die «eigentliche» Pubertät (zweite Phase) lässt sich zwischen dem 14. und 16. Lebensjahr verorten. Es versteht sich, dass diese Zeiteinteilung idealtypisch ist. Die Phasen können sich nach vorn oder nach hinten verschieben. Die Nachpubertät umfasst den Zeitraum zwischen dem 16. und 18. Lebensjahr (dritte Phase). Auffällig sind gegenwärtig einerseits frühzeitigere körperliche Reifungsprozesse (Gestaltwandel, Menstruationsbeginn, Samenerguss), die den Beginn der Pubertät nach vorn verlagern. Andererseits kann sich die Nachpubertät bis in das 24. Lebensjahr hinein verschieben.
Die Vorpubertät zeichnet sich durch einschneidende körperliche, psychische und
Weitere Kostenlose Bücher