Puppenmord
augenblicklichen Gestalt und unerfreulichen Erscheinung zu erlösen, hatten Eva zutiefst getroffen. Sie kniete auf dem Teppich und schluchzte, während der Pfarrer sie über seine Brille hinweg anstarrte, die Augen schloß, seine zittrige Stimme zum Gebet erhob, die Augen wieder aufmachte und sich überhaupt in einer Art gebärdete, die Trübsinn und Verzweiflung bei der vermeintlichen Leiche hervorrufen sollte, und als er in einem letzten verzweifelten Versuch, Eva Wilt, Gott hab sie selig, dazu zu bringen, den ihr gebührenden Platz im Himmelschor einzunehmen, das Gebet »Mensch, der du geboren bist vom Weibe, du hast nur kurze Zeit zu leben, die voll des Elends ist« plötzlich abbrach und mit so mancher Sechzehntelnote »Ach, bleib bei uns« anstimmte, da gab Eva Wilt jeden Versuch, sich zu beherrschen, auf und jammerte höchst ergreifend: «... denn es will Abend werden.« Als sie bei »O steh mir bei in jeder meiner Stunden« angekommen waren, war Hochwürden St. John Froude mittlerweile genau entgegengesetzter Ansicht. Er schwankte aus dem Zimmer und suchte in seinem Arbeitszimmer Zuflucht. Hinter der geschlossenen Wohnzimmertür verlangte Eva Wilt, die sich in ihre neue Rolle als Tote mit derselben Hingabe hineinkniete, die sie vordem auf Trampolins, Judo und das Töpfern gewendet hatte, Auskunft darüber, wo der Tod seinen Stachel habe und die Hölle ihren Sieg. »Als wenn ich das, Kruzitürken, wüßte«, murmelte der Pfarrer und griff zur Whiskyflasche, mußte aber feststellen, daß auch sie leer war. Er setzte sich und hielt sich die Ohren zu, damit er das gräßliche Gekreisch nicht hörte. »Ach, bleib bei uns« war wirklich das letzte Lied, das er sich hätte aussuchen dürfen. Viel besser bedient gewesen wäre er mit »Es grünen die Wälder«, das konnte man einfach nicht dermaßen falsch deuten.
Als der Gesang endlich verstummte und der Pfarrer die Stille genießend dasaß und gerade die Möglichkeit erwog, daß vielleicht noch eine Flasche in der Speisekammer sei, klopfte es an der Tür und Eva kam herein.
»O Vater, ich habe gesündigt«, kreischte sie und tat ihr möglichstes, gleichzeitig zu jammern und mit den Zähnen zu knirschen. Hochwürden St. John Froude klammerte sich an die Armlehnen seines Sessels und versuchte zu schlucken. Das war nicht einfach. Als er die berechtigte Befürchtung, das Delirium tremens sei doch allzu plötzlich eingetreten, überwunden hatte, gelang es ihm zu sprechen. »Steh auf, mein Kind«, stieß er hervor, als sich Eva vor ihm auf dem Teppich wand, »ich will deine Beichte hören.«
- 20 -
Inspektor Flint schaltete das Bandgerät ab und sah Wilt an.
»Na?«
»Was na?« sagte Wilt. »Ist sie das? Ist das Mrs. Wilt?«
Wilt nickte. »Ich fürchte, ja.«
»Was soll das heißen, Sie fürchten, ja? Das verdammte Weib lebt. Sie sollten verflucht nochmal dankbar sein. Statt dessen sitzen Sie da und sagen, Sie fürchten, ja.«
Wilt seufzte. »Ich dachte grade, was für eine Kluft doch dazwischen liegt, wie wir uns an einen Menschen erinnern und ihn uns vorstellen, und wie er wirklich ist. Ich wollte gerade beginnen, mich liebevoll an sie zu erinnern, und nun ...«
»Sind Sie schon mal in Waterswick gewesen?«
Wilt schüttelte den Kopf. »Nie.«
»Kennen Sie den Pfarrer dort?«
»Hab nicht mal gewußt, daß es dort einen Pfarrer gibt.«
»Und Sie wissen auch nicht, wie sie dorthin gekommen ist?«
»Sie haben doch gehört, was sie gesagt hat«, sagte Wilt. »Sie war auf einem Boot gewesen.«
»Und Sie kennen niemanden mit einem Boot, nicht?«
»Die Leute aus meinem Bekanntenkreis haben keine Boote, Inspektor. Vielleicht haben Pringsheims eins.«
Inspektor Flint erwog diese Möglichkeit und verwarf sie. Sie hatten die Jachthäfen überprüft, aber die Pringsheims besaßen kein Boot und hatten auch keines gemietet.
Auf der anderen Seite nahm in seinem Kopf so nach und nach die Möglichkeit Gestalt an, daß er das Opfer eines gigan tischen Juxes, eines bewußten und undurchsichtigen Plans geworden war, ihn als Idioten hinzustellen. Dieser teuflische Wilt hatte ihn dazu angestiftet, die Exhumierung einer aufblasbaren Puppe anzuordnen, und man hatte ihn genau in dem Augenblick fotografiert, als er ihr leichenblaß bei ihrer Geschlechtsumwandlung zusah. Er hatte eine Fahndung nach Leberpasteten in Gang gesetzt, wie sie es in der Geschichte des Landes noch nie gegeben hatte. Es würde ihn überhaupt nicht wundern, wenn Sweetbreads wegen der Schädigung ihres
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