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Die Ketzerbibel

Die Ketzerbibel

Titel: Die Ketzerbibel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Klee
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1.
    Ohne den Mistral wäre alles nicht passiert. «Der Mistral bläst entweder drei Tage oder sechs, oder längstens neune», pflegten die Alten im Brustton ewiger Wahrheit zu verkünden. Aber nun fegte der eisige, scharfe Wind aus dem Nordwesten schon den elften Tag über die Provence. Alles trug er mit sich, was nicht angenagelt war. Er ließ Fuhrwerke umstürzen und riss Ziegel von den Dächern. Er türmte die Wasser der Durance zu schaumigen Wellen. Erde und alte Blätter fegte er vor sich her, der
«mangio-fango»
, der Schlammfresser. Und vor allem zerrte er am Gemüt der Menschen, tobte um ihre Häuser, unablässig pfeifend und stöhnend wie eine Seele im Fegefeuer.
    Bruder Calixtus bekreuzigte sich. «Und das im März! Die Mandelblüte ist lange vorbei! Wir sollten längst Bohnen säen», schimpfte er leise vor sich hin. Es war nicht mehr die Zeit für den
mangio-fango
. Aber der Winter war ungewöhnlich kalt gewesen und weigerte sich zu gehen.
    «Hör schon auf, du!» Der Mönch drohte dem Wind mit der Faust. Aber der ließ sich nicht beirren. Mit einem höhnischen Pfeifen zerrte er dem Franziskaner die Kapuze vom Kopf. Er zog sie sich rasch wieder über und hielt sie mit der Hand vor dem Gesicht zusammen. Es war empfindlich kalt auf der Tonsur.
    Bruder Calixtus kam von der Kirche Saint Nicolas, wo er als Zimmermann arbeitete. Zimmermann war er schon gewesen, als er sich mit knapp zwanzig Jahren für ein religiöses Leben entschieden hatte. Und die Franziskaner hatten ihnnur zu gerne aufgenommen. Im Unterschied zu den anderen Bettelorden forderte die Franziskanerregel, dass man für seinen Unterhalt arbeiten sollte. Nur in der Not setzten sich die minderen Brüder an den Tisch des Herrn und lebten von Almosen. Und welches Handwerk konnte unter den Ordensleuten größeres Ansehen genießen als jenes, das der heilige Josef ausgeübt hatte, Jesu Ziehvater? So hatte Calixtus weiterhin als Zimmermann gewirkt.
    Und nun hatte Bertrand de Got, der neue Herr der Stadt Pertuis, angeordnet, die bescheidene Kapelle zu vergrößern und zu verschönern. Sie sollte das baufällig gewordene und viel zu enge Kirchlein Saint Pierre als Gemeindekirche ablösen.
    Calixtus bog aus der Grande Rue Saint Jacques in die kleine Gasse «Zur Fontaine». Ein kurzer Augenblick der Erleichterung: Die Gasse lag quer zur Windrichtung, und die geschlossene Häuserfront ließ den bösen Wind nicht durch.
    Doch gleich dahinter, dort, wo sich die Place de l’Ange weit vor ihm öffnete, fing er wieder an zu fauchen. An drei Seiten war der Platz von Häusern eingegrenzt. Die vornehmeren Villen von Pertuis lagen hier: Zur Linken das dreistöckige Stadthaus der Grafen der Provence. Geradeaus ein paar Kaufmannshäuser, stolz und hoch, mit steinernen Reliefsäulen, Wappen und dem dreifachen Ziegelabschluss am Dach, unter dem Schwalben nisteten. Auf der rechten Seite lag das Haus des Konsuls. Dahinter befand sich der öffentliche Brotofen. In der Mitte schließlich stand der große Brunnen mit dem steinernen Engel, der dem Platz seinen Namen gegeben hatte. Zu seinen Füßen entsprang der ergiebige Quell, der die Stadt auch in Belagerungszeiten mit Wasser versorgte, der einzige innerhalb der Stadtmauern.
    Heute war Markttag. Doch war es bei diesem Sturmwindkaum möglich, auf normale Weise die Geschäfte abzuhalten. Die wenigen Bauern aus der Umgebung, die sich herausgewagt hatten, verkauften ihre letzten eingelagerten Zwiebeln, Pastinaken und runzligen Äpfel in den Hauseingängen. Ein einziges altes Weib kauerte am Brunnen, in wollene Decken gehüllt, sodass nur ihre Nasenspitze zu sehen war. «Ziegenkäse! Feine Ziegenkäse!», rief sie. «Kommt und kauft rasch, verdammt sollt ihr sein, damit ich endlich nach Hause an mein Feuer zurückkehren kann!» Die Umstehenden lachten und feilschten mit ihr, in der Hoffnung, einen Vorteil aus ihrer Eile ziehen zu können. «Nichts da!», schrie sie, «je länger ihr zögert, desto mehr friert’s mich am Hintern und desto teurer mach ich’s! Ich bin die Einzige heute, die Käse feilhält, also beeilt euch gefälligst und kauft! Kauft, ihr Damen, verflixt nochmal!»
    Bruder Calixtus stand an eine Hausecke gedrückt und zögerte noch, sich dem Wind wieder auszusetzen, als er am anderen Ende des Platzes einen Tumult wahrnahm.
    «Halt! Hiergeblieben, du dreckiger kleiner Dieb!», brüllte der Bäcker Guillaume. Ein rotzverschmiertes Kind rannte vor ihm davon, eine Stange Brot unter dem Arm. Es schlug Haken durch

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