Purpur ist die Freiheit 02 - Die Perlen der Wueste
streifte sie über einen anderen Markt. Manchmal berichtete sie ihrem Bruder von ihren Erlebnissen und erzählte ausführlich, was jene Cousine gesagt und diese Freundin gemeint hatte, bis er Mühe hatte, ein Gähnen zu unterdrücken. Ihre Wünsche waren überschauba r u nd ihre Vergnügungen harmlos, daher ließ Saïd sie gewähren.
An diesem Morgen aber hatte sie ihn überrumpelt. » Heute findet keine Sitzung statt«, hatte sie festgestellt, sich vor ihm aufgebaut und erklärt: » Ich möchte jetzt endlich Sarah besuchen, und du wirst mich begleiten.«
Saïd erschrak. » Wir sollten vielleicht nicht unangemeldet bei ihr erscheinen«, versuchte er Azîza aufzuhalten. Natürlich hatte er mit keinem Wort erwähnt, dass er Sarah bereits aufgesucht und welche unangenehme Überraschung ihn dort erwartet hatte. Auch Hamid musste Schweigen bewahren.
» Ach wo, doch nicht bei Sarah! Ich möchte sie so gern wiedersehen. Dir geht es sicher genauso, nicht wahr?«, hatte sie gefragt. Und er hatte genickt. In Wahrheit wusste er nicht, wie er zu Sarah stand.
Sarah hatte sichtlich Mühe, ihre Gedanken zu sammeln, als plötzlich Azîza und Saïd vor ihr standen. Anstatt sie freudig in die Arme zu schließen, wie das junge Mädchen sicher erwartet hatte, begrüßte sie die Besucher nur flüchtig, setzte sich wieder und nahm ihr Kind auf den Schoß.
Unsicher sah Azîza den Bruder an, der aber zog lediglich die Augenbrauen in die Höhe. » Du hättest auf mich hören sollen«, bedeutete das. Ausnahmsweise gab sie ihm recht.
» Verzeih unser Eindringen, wir bedauern, unhöflich zu sein. Azîza wollte dich unbedingt sehen. Was ist mit deiner Tochter? Können wir helfen?« Saïd beugte sich zu Sarah hinunter, die sich bemühte, dem Kind etwas zu trinken zu geben. Dazu war es jedoch zu schwach, außerdem war der Rand des tönernen Bechers so dick, dass die Flüssigkeit nicht in seinem Mund landete. Saïd legte Sarah die Hand auf die Schulter.
Als sie ihn ansah, erschrak er vor der Verzweiflung in ihren Augen. Rotgerändert und verweint hatte sich der Himmel in ihnen verdunkelt. Er schluckte. Sie litt Not, und allein das zählte.
» Nimm ein wenig von der Flüssigkeit in deinen Mund«, sagte er mit mehr Ruhe, als er empfand, » dann küsse sie. Auf diese Weise kannst du ihr davon einflößen. Nimm nur wenig, lediglich ein paar Tropfen auf einmal. Und halte ihren Kopf etwas höher, damit sie sich nicht verschluckt. Es ist ein Notbehelf, aber mit Allahs Hilfe wird sie trinken.« Sarah nickte.
» Ha, Ihr habt wohl für jede Lage eine Lösung zur Hand!« Erst jetzt nahmen Saïd und Azîza den alten Kapitän wahr, der im Halbdunkel am anderen Ende des Raumes saß. Bisher hatte er Sarah nicht aus den Augen gelassen, nun aber richtete er sich aus seiner halb liegenden Position auf und wandte sich Saïd zu.
» Ich staune über Eure vielfältigen Talente! Ihr also seid der Botschafter? Ich hätte eigentlich angenommen, der Sultan würde sich einen Mann von Ehre für diese Aufgabe erwählen.«
Saïd legte eine Hand auf die Höhe seines Herzens und deutete eine Verbeugung an. Er schwieg. Was hätte er auf diese grimmigen Worte auch antworten sollen?
» Meine Tochter erzählte von ihrer Reise nach Venedig und in wessen Begleitung sie diese bewältigte«, fuhr der Kapitän fort. » Sie fand viele lobende Worte und sprach voller Anerkennung von Euch, ich hingegen muss schon sagen …« Unter gerunzelten Brauen fixierte er Saïd.
» Verfolgtet Ihr eigentlich irgendeine Strategie, als Ihr in Taroudant kein Wort über meine Tochter sagtet? Denn Ihr werdet mir ja wohl kaum erzählen wollen, dass Ihr damals nicht wusstet, wen Ihr vor Euch hattet, oder? Erklärt Euch!«
» Allah sei mit Euch, Kapitän de Álvarez«, entgegnete Saïd und ging vor Miguel in die Hocke, um auf gleicher Höhe mit ihm sprechen zu können. Mit Blick auf das bandagierte Bein fragte er: » Der Kamelbiss ist noch nicht geheilt?«
» Das geht Euch nichts an. Antwortet gefälligst, was habt Ihr damit bezweckt?«
Saïd überlegte. Der Kapitän wollte ihn herausfordern. Sollte er darauf eingehen und sich rechtfertigen? Aber konnte er dem alten Vater die Wahrheit überhaupt zumuten? Alles lag lange zurück, die Sorgen von damals, die Kämpfe, die Reise … Er blickte zu Sarah hinüber, die gerade die Lippen spitzte und dem Kind von Mund zu Mund einige Tropfen einflößte. Und die Kleine schluckte.
Viele Male hatte er diese Szene bereits in den Nomadenlagern der Sahara
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