Purpur ist die Freiheit 02 - Die Perlen der Wueste
Wahrscheinlich ist es aber nur Gerede, bis jetzt habe ich jedenfalls nichts Verdächtiges entdeckt. Wir gehen über Oum Er’Rbiaa nach Miknas, wie du bereits weißt. Der Weg dorthin führt uns am Nordrand des Gebirges entlang, überwiegend durch Wälder und wasserreiche Täler«, erklärte der junge Berber weiter.
Beneidenswert, dachte Sarah, er kannte nicht nur sein Ziel, er wusste auch den Weg dorthin.
» Sollte dieser Weg auch der deine sein, so lade ich euch beide ein, geht mit uns und nehmt weiterhin unsere Gastfreundschaft an«, fuhr der Berber fort. » Wenn nicht, so geleite ich dich nach Marrakech, wo du dich einer anderen Karawane anschließen kannst. Das ist keine Mühe, die Stadt liegt nahe unseres Weges. Jedenfalls solltest du nicht länger allein reisen.«
Nachdenklich nickte Sarah. Er hatte seine Worte knapp und mit Bedacht gewählt, keines davon war überflüssig. Auch versuchte er nicht, sie zu bevormunden, vielmehr gab er ihr einen eher freundschaftlichen Rat. Und das von einem Sa’adier, über deren herrische Art wilde Geschichten kursierten? Ihre von den Eltern übernommenen und nie hinterfragten Vorbehalte gegenüber Berbern wurden geringer, speziell die gegenüber diesem jungen Karawanenführer. Er benahm sich keineswegs anmaßend, außerdem hatte er mit dem, was er sagte, recht – das wurde ihr immer klarer. Wie sich gezeigt hatte, konnten Yasmîna und sie noch nicht einmal auf ihre Maultiere aufpassen. » Was denn für Aufstände? Davon weiß ich gar nichts.«
Saïd zuckte nur mit den Schultern, als gäbe es nicht mehr dazu zu sagen. Seine Augen richteten sich erwartungsvoll auf sie. Wenn sie nur sein Gesicht sehen könnte, hinter diesem Schleier konnte sich alles Mögliche abspielen.
Plötzlich aber verstand sie. Wenn er auch keine Fragen stellte, so erwartete er jetzt anscheinend doch Offenheit von ihr. Immerhin bot er ihr seinen Schutz an, ohne irgendetwas über sie zu wissen. Ob es jedoch klug wäre, als Reiseziel das ferne Venedig anzugeben? Andererseits widerstrebte es ihr, Lügen zu erzählen, erst gestern hatte sie ihm mit dem Mädchennamen ihrer Mutter, Bint el-Mansour, einen falschen Namen aufgetischt.
» Ich habe mein Haus verlassen«, sagte sie deshalb, entschlossen, wenigstens im Kern bei der Wahrheit zu bleiben. » Es gibt wichtige Gründe dafür. Ich werde auch dieses Land verlassen und über das Meer fahren. Das bedeutet, ich reise nach Nordnordost an die mittelmeerische Küste. Solange wir also den gleichen Sternen folgen, bin ich dankbar für deinen Schutz. Wir werden gern mit euch reisen.«
Saïd nickte gleichmütig und erhob sich. » Du kannst eines der meharis nehmen. Wir wissen nicht, welche Strecken deine Maultiere heute Nacht zurückgelegt haben, lassen wir sie also etwas ausruhen.«
War er denn nicht schockiert oder wenigstens neugierig, hakte er gar nicht nach? Doch der junge Karawanenführer drehte sich nur noch einmal um. » Sobald du fertig bist, brechen wir auf«, bestimmte er. Nach einem Moment des Zögerns setzte er hinzu, und sie hörte an seiner Stimme, dass er lächelte: » Ich bin sicher, meine Schwester wird sich freuen, Gesellschaft zu haben.«
» Oh ja, sehr sogar«, rief Azîza, die mit gespitzten Ohren in der Nähe stand. » Mein Bruder ist nämlich … Na ja, du verstehst schon, er ist eben ein Bruder.«
*
» Ich habe mein Haus verlassen« – ihre Worte hatten wie eine Kriegserklärung geklungen. Wem erklärte sie den Krieg, ihren Brüdern, ihrem Vater oder ihrem Ehemann? Und was bedeutete das? Wie konnte jemand einfach sein Haus, seine Familie verlassen?
Diese Fragen hatte er zwar hinuntergeschluckt, gleichwohl gingen sie ihm im Kopf umher. Was mochte vorgefallen sein, und was sagte ihr Vater dazu? War dieser jetzt nicht gezwungen, sie aus der Familie auszuschließen? Die Sitten der Sanhadja ließen jedenfalls nichts anderes zu. Hatte eine Frau einen Fehltritt begangen, musste sie verschwinden, nur so blieb die Ehre der Familie unbefleckt. Möglicherweise war sie dem zuvorgekommen, falls es sich denn um einen Fehltritt handelte. Selbstbewusst genug dazu wäre sie wohl, außerdem war sie jung und unbedacht, zudem sehr schön . Aber das alles ging ihn nichts an, sie gehörte schließlich nicht zu seiner Familie.
Den Blick nach vorn gerichtet, ritt Saïd voraus. Wind und Sonne hatten sein Gesicht gebräunt, zumindest das, was das blaue Tuch freiließ. Von dem drahtigen schwarzen Haar, das er kurz geschnitten trug, und der kräftigen Nase
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