Purpur ist die Freiheit 02 - Die Perlen der Wueste
sprach, so konnte das nur eines bedeuten: Sein Bruder machte gemeinsame Sache mit den Osmanen. Plötzlich kam es Saïd vor, als legten sich erneut Hände um seine Kehle und schnürten ihm die Luft ab. Er schluckte. Hussein – ein Komplize der Osmanen?
» Mustapha hatte wohl auch für ihn ein Schreiben? Für den Sheïk von Sijilmassa, meine ich?«, fragte er beiläufig und anscheinend mit mäßigem Interesse, obgleich es in ihm tobte. Vorrangig schien es ihm jedoch um die Suche nach einer bequemeren Sitzposition zu gehen. Als er die gefunden hatte, die Beine ausstreckte und sein Gewand neu ordnete, lag sein Gesicht im Schatten, während das des Jungen vom Feuer erhellt wurde.
Stolz nickte Lahsen. » Natürlich, an Sheïk Hussein persönlich adressiert, gefaltet und gesiegelt.«
» Du kannst also lesen?«
Lahsen kicherte geschmeichelt. » Sîdi, was denkst du denn?«, wehrte er ab. » Wo und wann sollte ich das wohl gelernt haben? Aber der Torwächter der Kasbah ist sehr klug. Er konnte wirklich gut lesen.«
» Ein Gelehrter als Torwächter?« Saïd heuchelte Erstaunen. » Wie ungewöhnlich.«
Das musste Abdul gewesen sein, außer ihm konnte niemand von den Wachen lesen. Als Kinder hatten sie gemeinsam die Koranschule besucht … Saïd tat, als müsse er gähnen. » Dann stand sicher etwas Erfreuliches für den Sheïk in dem Brief, wenn er euch so üppig bewirtet hat?«
Statt einer Antwort blickte ihn Lahsen jedoch plötzlich mit erschrockenen Augen an. Offenbar wurde ihm in diesem Moment klar, dass er mit einem Sa’adier sprach, einem der Männer, die eigentlich nichts von dem erfahren sollten, was er soeben in aller Unschuld ausgeplaudert hatte. » Ich weiß nicht.« Lahsens Gesicht nahm einen leeren Ausdruck an. Dann gähnte auch er, übertrieben lange, und sagte: » Sollten wir nicht schlafen? Ich bin müde.«
» Du hast recht, mein Freund von den Aït Yahya. Aber zuvor werde ich dich binden müssen. Wenn wir den Fuß des Djebel Ayachi erreichen, kannst du zu den Deinen zurückkehren. Bis dahin wirst du Fesseln tragen.«
*
Etwas hatte Saïd geweckt. Er lauschte, doch es war nichts zu hören. Ein kalter, weißer Mond, dessen Schatten beinahe an ein menschliches Antlitz denken ließen, erhellte die Nacht. Dort glänzte das Sternbild des amanar, des großen Mannes mit dem Gürtel, und hier, direkt über ihm, im hellen Mondlicht jedoch nur schwach zu erkennen, talemt, die Kamelstute. Beide standen am richtigen Platz. Zumindest der Himmel hatte sich also nicht verändert. Er hingegen fühlte sich seltsam unvertraut in seiner Haut. Heute hatte er gewöhnliche Dinge gesehen, die ihm neu und fremd erschienen, hatte alltägliche Geräusche gehört, die ihm plötzlich verändert vorkamen, und Wohlbekanntes gerochen und geschmeckt, als sei es das erste Mal. Jetzt, unter den Sternen und tief in seinem Herzen gestand er sich ein, die überstandene Todesnähe war dafür nur zum Teil verantwortlich. Lautlos formten seine Lippen einen Namen: Sarah. Sarah mit den Himmelsaugen.
Er setzte sich auf. Alles ruhte, die Kamele mit ihren Hälsen wie tanzende Riesenschlangen warfen Schatten im Mondlicht, ebenso die wenigen Bäume, unter denen Pferde und Maultiere die Nacht verbrachten. Der Tagesanbruch war noch weit. Dort drüben lagen die drei Frauen nahe beieinander. Ob Sarah schlief?
Hamids Platz am Feuer war leer, dabei hätte er Wache halten sollen. Was war los? Bevor Saïd sich jedoch auf die Suche nach dem Schwarzen machen konnte, bemerkte er eine geisterhafte Bewegung, die den Berg heraufkam, von Stein zu Stein huschte, leise und unauffällig.
Alarmiert starrte er in das gesprenkelte Muster aus fahlem Mondlicht und tiefem Schatten. Keine Geister, das waren menschliche Umrisse, schemenhaft zwar, aber doch als drei Männer zu erkennen, die sich gegen den Hang duckten. Stand ihnen etwa erneut ein osmanischer Überfall bevor, der zweite innerhalb nur eines Tages?
Unauffällig berührte er Abdallah, der neben ihm in Decken eingerollt lag. Nichts. Schlief der Karawanenmann so fest? Energisch stieß Saïd ihn noch einmal an. Die Decken gaben nach und fielen auseinander. Niemand lag darunter.
Sofort griff Saïd nach seinem Dolch und rollte sich hinter einen Stein. Vorsichtig hob er den Kopf und versuchte, etwas zu erkennen. Keine Spur von Abdallah oder von Hamid. Doch er wusste, selbst wenn er sie nicht sehen konnte, so lagen sie vermutlich irgendwo in Deckung, bereit, die Reisenden zu verteidigen.
Währenddessen kamen die
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