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Lieber tot als vergessen

Lieber tot als vergessen

Titel: Lieber tot als vergessen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Denise Danks
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Prolog

    Es heißt, man erinnert sich immer daran, wo man gerade war, als die Nachricht kam, daß Johnny Waits gestorben war. Er war der Megastar der Megastars, ja, eine Supernova. So talentiert, daß manche Leute ihn überhaupt nicht für einen Menschen hielten, sondern für einen Gott. Er war auf die Erde herabgestiegen mit einer goldenen Gitarre und Händen wie Blitze. Er sollte die Herzen der Menschen bezwingen und mehr Geld machen, als ein armer Junge aus Huddersfield — denn das war er — sich jemals hatte vorstellen können.
    Aber natürlich war er ein Mensch, und sterblich dazu, und mit fünfunddreißig Jahren pustete er sich sein verwirrtes, göttliches Gehirn von innen nach außen — mit einer Überdosis Heroin. Ein höllischer Abgang.
    »Das ist schon wieder eine Waits-Platte... die vierte hintereinander. Irgendwas muß da los sein. Wenn sie sterben oder so, dann graben die DJs ihre ganzen alten Klassiker aus, nicht? ... Er muß gestorben sein, oder...? sagte das Mädchen im weißen Overall und spähte an meinen Beinen entlang. Sie verteilte das heiße, klebrige Wachs in langen karamelfarbenen Streifen auf meinen bleichen Schienbeinen wie ein Koch, der ein Huhn mit Orangensauce übergießt. Im Radio spielten sie »Cover Me (I Want Your Love)« — einen Waits-Klassiker. Alles von Waits war ein »Klassiker«. Sie hatte recht. Vier Stücke hintereinander, daß bedeutete, daß etwas Ernstes passiert war, vermutlich mit Waits. Ich zuckte zusammen, als sie die Baumwollstreifen auf dem erkalteten Wachs ein paarmal fest andrückte und dann heftig daran zog und sie abriß. Meine brennende Haut blieb glatt und haarlos wie die eines gerupften Huhns darunter zurück. Der DJ fing mit seinem verhaltenen Geplauder an... »Für alle da draußen, die wußten, wie groß er wirklich war: Vier wunderbare Klassiker von dem einzigartigen, dem unvergleichlichen Johnny Waits, der traurigerweise letzte Nacht gestorben ist...« Die glatten, selbstgefälligen Werbespots folgten unverzüglich: für das Schuppen-Shampoo... la, la, la... für Toilettenpapier... schubiduu... für den Kurierservice... didam, didamm... Ich sah, wie rote Flecken sich wie Windpocken auf meinem Bein ausbreiteten. Das bekommt man also nach einer glitzernden Karriere als Star im Zenith des Rock-Ruhms: vier Jingles als Grabgesang.
    »Traurig, was?« bemerkte meine leicht gebräunte Peinigerin und strich eine lose Strähne ihres honigblonden Haares zurück. »Bikini-Line?«
    Ich biß mir auf die Lippe und nickte — und bereute sofort meine Entscheidung, als sie mir das Wachs auf den Schamhaaransatz strich. Es war zu spät: Mit einer Hand stemmte sie sich auf meinen weichen Oberschenkel, mit der anderen riß sie das Wachs ab.
    »Recht so?« fragte sie und trat einen Schritt zurück, um sich zu vergewissern, daß ich auf beiden Seiten gleichmäßig gehäutet war.
    »Es reicht«, sagte ich.
    Lächelnd ölte sie sich die Hände ein und strich damit sanft, aber fest auf meiner heißen, entzündeten Haut auf und ab.
    Das war der Tag, an dem Johnny Waits, der Koloß des Rock ’n’ Roll, starb. Meine Freundin Carla hatte mich zu ihrer Party eingeladen, und in ein paar Stunden würden meine Beine glatt aussehen, die Flecken wären verschwunden, und niemand würde vermuten, daß mein 15-den-Schimmer etwa nicht natürlich sei.
    Der 22. November. Jawohl, ein tragischer Tag, erklärte der Diskjockey, angeregt von diesem Zusammentreffen: Am gleichen Tag vor zwanzig Jahren hatte jemand aus einem Fenster im sechsten Stock des Texas School Book Depository auf Kennedy geschossen und ihn getötet. Es heißt, das Gebäude werde jetzt für dreieinhalb Millionen Dollar zu einem Besucher-Center mit Touristen-Buchhandlung ausgebaut. Für vier Dollar kann man dann den sechsten Stock besichtigen, aus dem Fenster in der Südostecke und die Elm Street hinunter zur Dealey Plaza sehen. Es wird der Höhepunkt eines Attentats-Wochenendes in Dallas sein. Schade, daß Waits’ Tod nicht so theatralisch gewesen war.
    Der 22. November. Ein schwarzer Tag, ein Tag zum Heldentöten, zum Verkaufen toter Präsidenten, ein Tag für Rock-’n-Roll-Selbstmorde.

Leute tanzten in einem kleinen, dunklen, leeren Schlafzimmer, und der starke Geruch von erstklassigem Cannabis hing in der Luft. Es war Carlas Abschiedsparty. Sie verließ das billige Hackney und zog in ein georgianisches Fünf-Schlafzimmer-Haus nach Islington — wirklich Is-lington, nicht bloß Stoke-Newington mit römischen

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