Purpurschatten
Abstellraum befand, stand eine barocke Kommode mit vergoldeten Beschlägen, darauf allerlei Krimskrams, Väschen und Döschen, eine uralte Bibel und zwei Fotografien in silbernen Rahmen, die Brodkas Interesse erregten.
Er trat heran und erschrak für einen Moment, als ihm aus einem venezianischen Spiegel mit bemaltem Rahmen, der über der Kommode hing, sein eigenes Gesicht entgegenblickte. Dann betrachtete er das eine Foto, das einen kleinen Jungen auf dem Arm seiner Mutter zeigte. Wenngleich Brodka das Bild nie gesehen hatte, wußte er sofort, das Baby auf dem Foto war er selbst.
Das zweite Foto kannte er bereits. Es zeigte eine vornehme ältere Frau in einem auffälligen Kostüm und einem schwarzen Hut mit breiter, geschwungener Krempe – seine Mutter, wie er sie in Erinnerung behalten hatte.
Wahllos und gleichgültig machte Brodka sich daran, Schubladen und Türen zu öffnen, als suchte er nach der Vergangenheit seiner Mutter, einer Vergangenheit, die ihm völlig fremd war. Gewiß, jeder Mensch hat seine geheime Existenz, eine Wand, hinter der er sich versteckt; aber das Leben seiner Mutter war ihm stets so rätselhaft und unergründlich geblieben wie die Funktion eines Computers.
Er hatte sich immer gefragt, woher seine Mutter das Geld gehabt hatte, ihn als Jungen auf ein teures Internat zu schicken. Später, als seine Begabung sich zeigte, hatte er die Fachhochschule für Fotografie besucht. Als er seine Mutter einmal fragte, ob die Kosten für seine Ausbildung nicht ihre Verhältnisse überstiegen, hatte sie ihm erwidert, er solle sich deswegen keine grauen Haare wachsen lassen – so hatte sie sich ausgedrückt.
Brodkas Mutter war eine Frau ohne Vergangenheit, sogar noch im Alter, wo die Vergangenheit für gewöhnlich immer größere Bedeutung erlangt.
So weit Brodka zurückdenken konnte, war seine Mutter nie einer regelmäßigen Arbeit nachgegangen. Die einzige Regelmäßigkeit in ihrem Leben waren die Kuren, die sie im Frühjahr und Herbst eines jeden Jahres antrat und mit großem Ernst absolvierte.
Als Brodka den Sekretär öffnete, dessen Vorderfront sich zu einer Schreibplatte herunterklappen ließ, fielen ihm Bündel von Papieren entgegen, Bankauszüge, Aktien, Quittungen und Belege. Brodka hatte nie daran gezweifelt, daß seine Mutter wohlhabend gewesen war; nun aber, da er die Konten und Belege in Augenschein nahm, wurde ihm klar, daß sie reich gewesen sein mußte, ziemlich reich sogar.
In einer kleinen Schublade machte Brodka schließlich eine Entdeckung, die ihn mit Erschrecken und Verwunderung erfüllte: eine Walther PPK, Kaliber 7,65, und zwanzig Schuß Munition.
Während er die Waffe vorsichtig aus der Lade nahm und ebenso vorsichtig von einer Hand in die andere wechselte, brach Brodka plötzlich in lautes Gelächter aus, ja, er schüttelte sich geradezu vor Lachen, hustete laut heraus und schritt zwischen dem Sekretär und der Tür hin und her, um sich abzureagieren. Seine Mutter mit einer Pistole in der Hand!
Die Türglocke schellte.
Abrupt hielt Brodka inne, als erwachte er aus einem Traum.
Er öffnete.
Im Treppenhaus stand eine gut gekleidete ältere Dame, das dünne Blondhaar hochfrisiert.
»Sie sind gewiß der Sohn«, meinte sie ein wenig dünkelhaft und zog dabei ihre schwarz nachgezogenen Brauen hoch.
»Und wer sind Sie?«
»Mein Name ist von Veldhoven. Ich bin … ich war die Nachbarin Ihrer Frau Mutter.« Dabei wies sie mit der flachen Hand auf die Eingangstür gegenüber.
Brodka wollte der Fremden die Hand reichen, doch in seiner Rechten hielt er noch immer die Pistole. Er wechselte die Waffe in die Linke und verbarg sie hinter dem Rücken. Dann bat er die Frau in die Wohnung.
»Ich wußte, daß Claire eine Waffe hatte«, bemerkte Frau von Veldhoven und fuhr fort: »Obwohl ich sonst nicht allzu viel von ihr wußte. Ich glaube, es gab niemanden, der sie wirklich gut kannte.«
»Sie waren befreundet?«
»Befreundet? Wo denken Sie hin! Claire lebte hinter einem Schutzschild aus geheimnisvoller Zurückhaltung. Wir nannten uns beim Vornamen, aber es blieb stets beim distanzierten ›Sie‹. Ich wußte nur sehr wenig über Claire, außer daß sie einen Sohn hatte.« Dabei wies sie auf die Fotografie auf der Kommode.
»Ich glaube, sie lebte in ständiger Angst«, sagte die Nachbarin nachdenklich und blickte suchend um sich. »Es fällt schwer, sich mit dem Gedanken vertraut zu machen, daß sie tot ist.« Plötzlich schaute sie Brodka ins Gesicht. »Ich weiß, Ihr
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