Purpurschatten
den Roller startete. Knatternd und schlingernd fuhr sie durch den Sand zu dem schmalen Weg aus Holzplanken, der vom Strand zum South Collier Boulevard führte.
»Jetzt steht die Sonne ohnehin schon zu hoch«, bemerkte Brodka, an seinen Assistenten gewandt. »Außerdem sind mir hier zu viele Gaffer. Wir versuchen es am Nachmittag noch einmal. Dann will ich eine Absperrung. Kümmerst du dich drum?«
»Geht klar, Brodka.«
Die Gaffer zerstreuten sich, als sie sahen, daß die Arbeit beendet war. Brodka, der alte, ausgefranste Jeans und ein weißes T-Shirt trug, ließ sich unter dem Sonnenschirm in den Sand fallen. Er war rücksichtslos gegen sich und andere, wenn es darum ging, gute Fotos zu schießen. Brodka war nicht unbedingt ein cooler Typ. Er neigte zu spontanen gefühlsmäßigen Reaktionen – bis hin zu gelegentlichen Wutausbrüchen –, doch zu den Leuten, die mit ihm arbeiteten, war er immer fair, solange sie sich um ein optimales Ergebnis bemühten. Gute Arbeit zu liefern war sein oberstes Ziel.
Brodka hatte sich daran gewöhnt, mit Superlativen zu leben. In Biarritz hatte er die schönsten Frauen der Welt vor seiner Kamera; in Monterey, Kalifornien, bannte er beim jährlichen Concours d'Elégance die exklusivsten und teuersten Automobile auf Film; für ›Magnum‹ hatte er die höchsten Gebäude der Welt in den fünf Erdteilen abgelichtet, und ›Vogue‹ brachte zwanzig Seiten Farbfotos, auf denen Brodka das süße Leben der Superreichen an der Côte d'Azur zeigte.
Das alles verlieh Alexander Brodka eine gewisse Weltgewandtheit, vor allem aber die Möglichkeit, Aufträge abzulehnen, die ihm nicht gefielen. Bevor er zugesagt hatte, Irina zu fotografieren, hatte er sich das Mädchen erst angesehen, denn – so pflegte er sich auszudrücken – zwischen Fotograf und Modell müsse die Chemie stimmen, sonst sei alle Mühe vergebens. Die Chemie stimmte; aber darüber hinaus gab es zwischen ihm und dem schönen Mädchen aus St. Petersburg keine Annäherungen. In dieser Hinsicht hatte er seine Prinzipien.
Brodka wischte sich mit dem Arm den Schweiß von der Stirn und drückte seine Sonnenbrille fester auf die Nase. Auch Irina, deren Make-up bereits verlief suchte nun Schutz unter dem Sonnenschirm. Benni fischte sich ein paar Eiswürfel aus der Box und preßte sie in den Nacken.
Auf Marco Island, vor der Westküste Floridas im Golf von Mexiko, herrschte Anfang November für gewöhnlich frühlingshaftes Klima. In diesem Jahr war im Sommer Regen gefallen; selbst die ältesten Einwohner konnten sich nicht erinnern, wann dies das letzte Mal geschehen war. Dafür hatte im Oktober eine ungewöhnliche Hitzeperiode eingesetzt, die bis jetzt anhielt, wenige Tage vor Thanksgiving Day.
Brodka reichte Irina wortlos ein feuchtes Handtuch.
Sie verstand seinen Wink und schlang sich das Tuch wie ein Beduine um den Kopf bis nur noch ein Schlitz für die Augen frei blieb.
»Dein Gesicht quillt sonst auf wie ein Pfannkuchen. Geh auf dein Zimmer, schmink dich ab, und leg dich möglichst nahe an die Klimaanlage. Benni gibt dir Bescheid, sobald wir mit der neuen Einstellung fertig sind.«
Irina nickte wortlos und verschwand in Richtung des Marriott-Hotels.
Während der Assistent die Kameras, Objektive, Stative und Sonnenblenden in Aluminiumkoffern verstaute, kam Flo zurück.
Sie schwenkte einen Umschlag in der Luft und rief schon von weitem: »Brodka, ein Fax für dich!«
Brodka war es gewöhnt, Faxbriefe und Anrufe zu erhalten, wo immer er sich gerade aufhalten mochte. Er riß den Hotelumschlag auf und las.
Florentina ging davon aus, daß es sich um eine wichtige Mitteilung handelte, die mit diesem Auftrag zu tun hatte, und blickte Brodka fragend an.
Sie konnte die Bedeutung der Nachricht anfangs nicht in seinem Gesicht ablesen. Erst als Brodka den Kopf hob, wortlos in die Ferne blickte und die Augen zusammenkniff, als wollte er ein paar Tränen zerdrücken, ahnte Flo, daß etwas vorgefallen sein mußte.
Ohne ein Wort reichte er Flo die Nachricht. Die zog die Stirn in Falten, als sie den Absender las: Generalkonsulat der Bundesrepublik Deutschland, 100 North Biscayne Boulevard, Miami, Florida 33.132.
Sehr geehrter Herr Brodka!
Zu unserem Bedauern müssen wir Ihnen mitteilen, daß Ihre Mutter, Frau Claire Brodka, am 21. November verstorben ist. Da bis zu diesem Zeitpunkt weder Ihr Aufenthaltsort noch nähere Angehörige zu ermitteln waren, fand die Beisetzung am 25. November statt.
Hochachtungsvoll,
Meiler,
Weitere Kostenlose Bücher