Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Purpurschatten

Purpurschatten

Titel: Purpurschatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
Vom Netzwerk:
geschossen. Ihr Bein ist verletzt«, sagte der Polizist und half Brodka aus dem Wagen. Dann zeigte er auf dessen blutenden Unterschenkel und auf den Einschuß an der hinteren Tür: eine Beule im Blech, in deren Mitte die Kugel ein kleines schwarzes Loch gestanzt hatte.
    Der Polizeibeamte musterte Brodka. »Sie hatten großes Glück. Von wo kamen die Schüsse, Herr …?«
    Brodka schüttelte seine Benommenheit allmählich ab. »Brodka«, sagte er. »Alexander Brodka.« Er deutete zur anderen Straßenseite. »Die Schüsse kamen von da drüben. Aber sie haben nicht mir gegolten. Bestimmt nicht. Wer sollte die Absicht haben, mich zu erschießen? Und vor allem aus welchem Grund?«
    Nachdem die Fleischwunde an der Wade von einem Notarzt behandelt worden war, wurde Brodka auf dem Polizeirevier von einem Kriminalkommissar zum Tathergang befragt. Er bezweifelte Brodkas Ansicht, durch Zufall in eine Schießerei geraten zu sein.
    Der Kommissar, ein alter Fuchs in seinem Job mit grauem Kraushaar und dunklen, buschigen Brauen, lächelte säuerlich und meinte, während er mit den Fingern auf der Tischplatte trommelte: »Sie sind Fotograf und Bildreporter, Herr Brodka. In Ihrem Beruf hat man doch Feinde, oder?«
    »Feinde? Mag sein. Jeder Mensch hat seine kleinen persönlichen Feindschaften und den einen oder anderen Rivalen; aber diese Rivalitäten werden doch nicht mit der Waffe ausgetragen!«
    »Da haben Sie wohl recht«, erwiderte der Kommissar. »Aber bei den Schüssen ging es nicht um irgendwelche Rivalitäten. Wir müssen davon ausgehen, daß sie Ihnen galten. Aber Sie sollten nicht ernsthaft verletzt oder gar getötet werden. Der Täter war kein Killer. Er hat auf die Beine gezielt. Er wollte Sie warnen, Ihnen einen Denkzettel verpassen, was weiß ich. Wissen Sie, wer so vorgeht?«
    »Wer?«
    »Die Mafia.«
    Im ersten Augenblick erschrak Brodka; dann aber löste sich die Spannung in seinem Inneren, und er mußte lachen. »Ich glaube, da überschätzen Sie meine Bedeutung, Herr Kommissar. Ich bin weder so reich, daß diese Herrschaften sich für mich interessieren könnten, noch deale ich mit Heroin, Kokain oder dergleichen. Alles was ich besitze, habe ich mit ehrlicher Arbeit verdient. Was sollten diese Leute also von mir …«
    »Sie halten sich doch viel im Ausland auf«, unterbrach ihn der Kommissar.
    »Ja, sicher. Aber ist das ein Grund, von der Mafia verfolgt zu werden?«
    »Das allein gewiß nicht«, entgegnete der Kommissar. »Aber es wäre denkbar, daß Ihr Weg sich mehrmals mit denen der ehrenwerten Gesellschaft gekreuzt hat … zufällig oder nicht. Und das mögen diese Leute gar nicht gern, wissen Sie.«
    Brodka schaute den Kommissar lange und durchdringend an. Er fühlte das Mißtrauen, das dieser ihm gegenüber an den Tag legte, und es machte ihn wütend. Verdammt, warum glaubte der Mann ihm nicht? War es an ihm, sich zu rechtfertigen, weil irgend jemand auf ihn geschossen hatte?
    Die mysteriösen Umstände des Todes seiner Mutter waren mit einem Mal vergessen, zumal Brodka weit davon entfernt war, sie auf irgendeine Weise mit den Schüssen in Verbindung zu bringen. Er wußte, daß es Tage gibt, da es den Anschein hat, als wollten sämtliche Widrigkeiten des Lebens auf einmal über einen hereinbrechen. Und obwohl er alles andere als ängstlich war, hatten die Schüsse ihm doch einen gehörigen Schrecken eingejagt.
    Wieder zu Hause, sperrte Brodka entgegen seiner sonstigen Gewohnheit die Tür hinter sich zu. Er ging ins Badezimmer und spritzte sich unter dem laufenden Hahn kaltes Wasser ins Gesicht. Seine verbundene rechte Wade schmerzte; das Hosenbein war von der Kugel zerfetzt.
    Geistesabwesend hörte er den Anrufbeantworter ab. Allerlei Unwichtigkeiten. Er wandte sich vom Gerät ab, wollte sich in einen Sessel fallen lassen …
    … und fuhr plötzlich herum, spulte den Anrufbeantworter zurück. Eine Stimme mit rollendem R und fremdem Akzent: »Hören Sie auf das Leben Ihrer Mutter auszuforschen. Das ist eine ernste Warnung!«
    Brodka drückte erneut auf ›Repeat‹, und die Stimme wiederholte ihre Drohung.
    Zum erstenmal seit langer Zeit hatte Alexander Brodka wirklich Angst.

K APITEL 2
    Sie hatten sich in der Bar des Hotels Waldorf-Astoria in New York kennengelernt, die eine Frau auch ohne männliche Begleitung besuchen konnte, ohne anrüchig zu wirken, und wo der Barmann mit schöner Regelmäßigkeit frisch geröstete Nüsse auf die Tische stellt, während der Pianist ›As Time Goes By‹ spielt.

Weitere Kostenlose Bücher