Quälend süsse Glut
Bild. Am Rand der Straße grasten friedlich Ziegen, die dort angepflockt waren, während im Schatten der Bäume immer wieder Grüppchen von Kindern spielten oder alte Leute saßen, die das muntere Treiben beobachteten.
Misstrauisch und ziemlich desillusioniert schaute Rafiq um sich. Dies sollte der Ort sein, wo diese umwerfend schillernden, kostbaren Stoffe hergestellt wurden? Das schien ihm nahezu unmöglich.
Hatte seine Mutter ihn einem Phantom nachjagen lassen? Und wenn ja, warum? Im Rückspiegel sah er, wie Sera mit der Hand ihre Augen beschattete und neugierig aus dem Seitenfenster schaute. Und wieder dachte er an den magischen Moment, als sich ihr biegsamer Körper im Schein des silbernen Mondes abzeichnete. Gestern Abend hatte sie ihn als Touristen-Prinz verspottet und war noch einmal davongekommen. Das sollte ihr heute nicht gelingen …
Er war jetzt ein Prinz, ob es ihr nun gefiel oder nicht. Und ebenso, wie er es geschafft hatte, die Rolle als erfolgreicher Geschäftsmann perfekt auszufüllen, würde es ihm auch mit diesem Titel gelingen. Und wenn es darum ging, wie ihr Verhältnis zueinander zukünftig aussehen würde, war allein er es, der die Regeln festsetzte.
Der Jeep hielt auf einem Platz im Zentrum des Bergdorfes, und im Nu war ihr Wagen umringt von lachenden, schwatzenden Kindern. Ein hochgewachsener weißhaariger Mann mit sonnengegerbter Haut bahnte sich ruhig einen Weg durch das Gewusel und verbeugte sich ehrerbietig, als Rafiq ausstieg.
„Eure Hoheit …“ Er lächelte, und die tiefen Falten im schmalen Gesicht ließen ihn so harsch und unverwüstlich wirken wie die Bergregion, in der er lebte. „Es ist mir eine Ehre, Sie bei uns willkommen zu heißen. Mein Name ist Suleman, ich bin der Dorfälteste. Sie sind hier, um sich unsere Schätze anzuschauen, nicht wahr?“
Rafiq war wider Willen beeindruckt von der Souveränität und Sicherheit des alten Mannes.
„Kommen Sie“, forderte er Rafiq lächelnd auf. „Ich zeige Ihnen, wo Sie sich frisch machen können. Danach freue ich mich, Ihnen zu präsentieren, worauf man in Marrash nicht ohne Grund außerordentlich stolz ist.“
Also würde er die fantastischen Stoffe in absehbarer Zeit endlich sehen und prüfen können. Rafiq folgte dem alten Mann, der ihn quer über den Platz führte. Von allen Seiten berührten ihn Kinderhände. Scheu lächelnde Frauen hielten ihm ihre Babys entgegen, damit er sie segnete, und sandten die besten Segens- und Glückwünsche für ihren zukünftigen König mit.
Doch egal, wie viele Babywangen er streichelte, Floskeln murmelte oder Hände schüttelte, er konnte Seras spöttische Bemerkung von gestern Abend einfach nicht vergessen.
Touristen-Prinz!
Dafür würde sie bezahlen!
6. KAPITEL
Rafiq wurde langsam ungeduldig. Er würde gezwungen sein, Prioritäten zu setzen, wenn er seinen selbst gesteckten Zeitrahmen nicht überschreiten wollte. Punkt eins, der Deal in Marrash musste so schnell und problemlos wie möglich abgewickelt werden, Punkt zwei, er wollte Sera endlich in seinem Bett haben.
Nach zehn harten Jahren, in denen er in Australien ein gigantisches Business-Imperium errichtet hatte, frustrierte ihn die Art und Weise, wie hier in Qusay Geschäfte gemacht wurden. Die Uhren schienen einfach langsamer zu gehen, Höflichkeitsbezeugungen und weitere Formalitäten, die den Fluss der Dinge in Rafiqs Augen nur aufhielten, mussten eingehalten werden.
Sera, der seine zunehmende Irritation keineswegs entging, wirkte wie die personifizierte Geduld. In der traditionellen Robe sah sie aus, als gehöre sie hierher – viel mehr als er selbst. Mit geradem Rücken, Beine und Füße züchtig unter ihrem Gewand versteckt, saß sie elegant und gelassen da, die volle Aufmerksamkeit auf den jeweiligen Redner gerichtet.
Oder vielleicht nicht ganz zu hundert Prozent, dachte Rafiq eine Spur geschmeichelt, als sich ihre Blicke begegneten und Sera errötend die Lider senkte. Danach hatte er ein Problem, sich wieder auf seine zukünftigen Geschäftspartner zu konzentrieren.
Nachdem die Kaffeetassen endlich gelehrt waren und er letzte Fragen zur Gesundheit seines Bruders und seiner Mutter beantwortet hatte, schien Suleman endlich zufrieden zu sein. „Nun, ich denke, es ist langsam an der Zeit“, sagte er, und seine dunklen Augen funkelten wie die eines Kindes, das sein liebstes Spielzeug vorführen möchte. „Soll ich Ihnen jetzt unsere Stoffe präsentieren?“
Rafiqs Lächeln kam von Herzen, und er nickte.
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