Quellen Der Lust
schätzen, aber ich versichere dir, das ist nicht nötig.“
„Die Tränen in deinen Augen sprechen eine andere Sprache“, erklärte Baxter mit einem so finsteren Gesicht, dass es jeden erschreckt hätte, jeden außer Genevieve. Ganz bestimmt würde niemand vermuten, dass der kahlköpfige Riese mit Schenkeln so stark wie Baumstämmen und Fäusten wie Schinken so sanft wie ein Lamm war und die wunderbarsten Scones im ganzen Königreich backen konnte. Natürlich konnte er auch mit bloßen Händen einem Mann den Hals brechen, wenn es nötig war – ein Umstand, der Genevieve ein sicheres Gefühl gab. Eine allein lebende Frau konnte nie vorsichtig genug sein. Vor allem nicht eine Frau mit Geheimnissen. Geheimnissen, die möglicherweise Gefahr in ihr Haus brachten.
Sie richtete sich auf und sah ihm in die Augen. „Es sind Tränen des Glücks – für Catherine. Die bis über beide Ohren verliebt ist und London genießt.“ Sie war entschlossen, das Thema zu wechseln, und sagte: „Als du hereinkamst, sagtest du, es gibt etwas, das ich wissen sollte?“
Baxters Miene ließ keinen Zweifel daran, dass er das Thema gern weiter verfolgt hätte. Aber nachdem er tief geseufzt hatte, um anzudeuten, dass er genau wusste, dass sie nicht die Wahrheit sagte, erklärte er: „Dieser Kerl ist hier und fragt, ob du zu Hause bist.“
„Kerl? Was für ein Kerl?“
Baxter hielt ihr eine Besucherkarte hin. „Der, der Dr. Olivers Cottage gemietet hat.“
Ach ja. Baxter wusste immer, was in Little Longstone vor sich ging – nicht, dass es viel war – und hatte erwähnt, dass Olivers Cottage vermietet worden war. Vor einigen Monaten hatte der gute Doktor einen Landsitz geerbt. Ohne zu zögern hatte er seine Frau genommen und war zu neuen Weidegründen aufgebrochen.
Genevieve nahm die Karte und überflog, was darauf stand. Mr. Simon Cooper. Sein Zuhause lag in einem guten, wenn auch keinem reichen Teil Londons. Nichts war daran ungewöhnlich, doch ihr Misstrauen erwachte sofort. Das war in der letzten Zeit schon der zweite Neuankömmling. Zuerst Mr. Blackwell, der Künstler, dann dieser Mr. Cooper. Sofort kam ihr wieder der Gedanke, der immer irgendwo in ihrem Kopf lauerte: Wusste dieser Fremde irgendetwas? Hegte er einen Verdacht? Waren Beweise gegen sie gefunden worden?
Offensichtlich zeigte sich ihre Besorgnis auch in ihrem Mienenspiel, denn Baxter sagte: „Diesen Blick kenne ich. Du glaubst, er ist wegen deiner Schreiberei hier, oder? Wegen Charles Brightmore?“
Bei der Erwähnung ihres Schriftsteller-Pseudonyms schnürte es Genevieve die Kehle zu. „Glaubst du es?“
Baxter kratzte sich den kahlen Kopf. „Scheint mir nicht wahrscheinlich. Dafür sorgten vor Monaten schon diese Zeitschriftenartikel. Charles Brightmore hat England verlassen. Es gibt keinen Grund, hier nach ihm zu suchen.“ Baxter runzelte die Stirn. „Denn wenn dieser Kerl tatsächlich nach Charles Brightmore sucht, dann breche ich ihm die Nase. Da kannst du sicher sein. Ich lasse nicht zu, dass dir etwas passiert, Jinnie.“
Genevieves Anspannung ließ etwas nach. „Ich weiß. Und du hast recht – es ist allgemein bekannt, dass Brightmore England verlassen hat und nicht die Absicht hat, zurückzukehren.“
Baxter nickte. „Trotzdem, Vorsicht zahlt sich immer aus. Aber ich muss sagen, dieser Kerl sieht nicht aus wie so ein Detektiv. Mehr wie ein liebeskranker Verehrer, der gerade heute Morgen eingezogen ist und keine Zeit verschwendet, sondern gleich bei dir vorspricht. Er sagt, er ist gekommen, um sich vorzustellen, weil ihr für die nächsten zwei Wochen Nachbarn sein werdet.“ Er wedelte mit seinen kräftigen Fingern. „Ich war in Versuchung, ihn am Hosenboden zu packen und hinauszuwerfen, mitsamt seinen Geschenken, aber nun, da ich sehe, dass du ein kleines bisschen einsam bist, glaube ich, der Versuchung widerstehen zu können. Zumindest wenn ein wenig Gesellschaft dich zum Lächeln bringen kann.“
„Es ist immer besser zu vermeiden, jemanden am Hosenboden zu packen und hinauszuwerfen, außer, es ist absolut nötig“, sagte Genevieve so ernst, wie sie es nur vermochte. Dann zog sie die Brauen hoch. „Geschenke?“
„Er hat Blumen mitgebracht.“ Baxter verzog spöttisch den Mund. „Der Kerl sollte wissen, dass eine Frau wie du nur Diamanten verdient.“
Genevieve lachte. „Und du würdest natürlich überhaupt nicht misstrauisch sein, wenn ein Mann, den ich noch nie gesehen habe, mir Diamanten mitbringt.“
Eine unschuldige Miene
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