Quitt
nicht der Bibel, sondern dem Leben des Valerius Herberger seinen Text entnehmend. Alle würden sich noch erinnern, was er am Christfest über den Valerius Herberger, diesen treuen Diener seines Gottes, gesagt habe, der dem Tode Tag um Tag ins Auge gesehen, durch nichts gehalten und getragen als durch den Spruch: »Wer Gott im Herzen hat, dem kann der Teufel nichts anhaben.« Und eben das seien auch die Worte gewesen, die damals auf Lehnert einen so tiefen Eindruck gemacht hätten, so tief, daß er anderen Tages zu ihm gekommen sei und ihm gesagt habe: »Ja, es sei so, und er fühle deutlich, daß nur
das
ein rechtes Leben sei, sich, mit Gott im Herzen, vor dem Tode nicht zu fürchten, und solches Leben zu führen sei seine Sehnsucht; und wenn ihn der Teufel der Eitelkeit und Selbstgerechtigkeit nicht ganz verblende, so möcht er wohl sagen dürfen, er glaube, daß er nicht bloß die Sehnsucht, sondern auch die Kraft zu solchem Leben habe...« – »Und diese Kraft, meine Lieben, er
hat
sie gehabt und hat sie bestätigt und ist gestorben, wie seine Sehnsucht war. Denn einen andern zu retten, den er liebte, das hat ihm den Tod gebracht. Dieser Tod war schwer, aber er war auch ein Ausgleich und eine Sühne. Das hat er selbst empfunden, und in diesem Glauben und in der Hoffnung, daß seine Schuld getilgt sei, wie sein letztes Wort uns bezeugt, ist er gestorben.«
Und nun sangen die Kinder wieder:
»Valet will ich dir geben,
Du arge falsche Welt,
Dein sündlich böses Leben
Durchaus mir nicht gefällt;
Im Himmel ist gut wohnen,
Hinauf steht mein Begier,
Da wird Gott ewig lohnen
Dem
, der ihm dient allhier.«
Alle waren bewegt und befriedigt, sogar Kaulbars. Als er aber schließlich auf seinem Vorwerk ankam und von seiner Frau gefragt wurde, wie's denn eigentlich gewesen sei, kam doch etwas vom alten Adam wieder in ihm heraus, und so mußt er denn wieder nörgeln, wie's nun mal seine Natur war. »Ja, Röse, wie soll es gewesen sein«, hob er an, »es war ja soweit alles ganz gut. Aber als der alte Herr von Bredow begraben wurde, war nicht halb soviel los. Sie haben immer zuviel von ihm gemacht, und eigentlich war es, wie wenn ein Prinz begraben würde. Und Obadja, denk ich, wird nu woll auch noch Landestrauer ausschreiben. Was zuviel is, is zuviel... Und Miss Ruth, na, die weinte, daß es ein Jammer war, und die alte Pollacksche schrie, als ob sie der Bock stieße. Und der verrückte Franzose,
den
hättst du sehen sollen. Der stand da, geradso, als ob er lebendig mit eingemauert werden sollte. Und wenn sie ihn mal kriegen, na, denn kann so was auch immer noch kommen.«
Um dieselbe Nachmittagsstunde aber, wo Kaulbars diese Betrachtungen seiner Frau gegenüber anstellte, saß Obadja an seinem Arbeitstisch und schloß einen längeren Brief mit der geschnörkelten Aufschrift: An den Kirchen- und Gemeindevorstand zu Wolfshau bei Krummhübel in Schlesien (Prussia).
Der Brief selbst aber lautete:
»Dem verehrlichen Kirchen- und Gemeindevorstande zu Wolfshau (Krummhübel) habe ich in nachstehendem die Pflicht, das Hinscheiden ihres Ortsangehörigen Lehnert Menz bekanntzugeben. Er starb hier am 1. Juni d. J. und wurde den 4. in unserer Familiengruft zu seiner letzten Ruhe bestattet. Über sein Vorleben und seine Schuld war ich durch ihn selbst unterrichtet, aber ebenso war ich, von dem Tage seines Eintritts in unser Haus an, auch ein Zeuge seiner Reue. Seine Tüchtigkeit bei der Arbeit, seine kleinen gesellschaftlichen Gaben, seine Demut und Bescheidenheit (wohl erst durch den Gang seines Lebens erworben), vor allem aber seine gute Sitte, machten ihn zum Liebling unseres Hauses, und es war beschlossen, ihn, noch im Laufe dieses Sommers, meiner Familie näher zu verbinden: die Hand meiner Tochter Ruth, die er durch seinen Mut und seine Geistesgegenwart gerettet hatte, war ihm zugesprochen. Alles ließ eine glückliche Zukunft erwarten. Als er mir aber auch den auf einem Jagdausfluge begriffenen und in eine gefährliche Lage geratenen Sohn erhalten wollte, war es ihm, nach Gottes unerforschlichem Ratschluß, vorherbestimmt, diese neue Liebestat mit seinem Leben zu bezahlen. Im eifrigen Suchen nach dem, den er in unserem Gebirge verirrt glaubte, glitt er einen steilen Bergkegel, den wir den Look-out nennen, herab und verletzte sich dabei derart (der Hüftknochen sprang aus dem Gelenk), daß er unfähig war, sich von der Unglücksstelle fortzubewegen, geschweige denn seinen Rückweg nach unserem Dorfe hin zu
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