Quitt
solchen Dingen –, für mein Leben gern nach Amerika, wo's anders aussieht und wo, wenn ich mein Gewehr abschieße, niemand es hört als Wald und Berg und auf zehn Meilen in der Runde kein menschlich Ohr ist.«
»Das hast du wieder aus dem Buch, Lehnert. Wenn du doch das Lesen lassen wolltest. Siebenhaar hat es gut gemeint, als er dich auf die Schule geschickt. Aber mitunter denk ich, es wäre besser gewesen...«
»Ich wüßte gar nichts und wüßt auch nicht, daß es eine neue Welt gibt, die besser ist als die alte. Ja, Mutter, mag sein; aber das ist nun zu spät. Und ich danke Gott, daß ich's weiß und daß es einen Platz gibt, wo man hin kann, wenn einem der Boden hier zu heiß wird und das Leben zu miserabel vorkommt. Und nun bin ich auch noch auf den Opitz eingeschworen und soll Friede halten. Ach, es gefällt mir nicht und tut mir schon wieder leid, daß ich's dir und dem Alten versprochen und mein Wort gegeben habe. Und dem Alten sogar doppelt. Ach, dieser Opitz! Als ich mich jeden Tag noch über ihn wüten konnte, das war doch was, wenn's auch bloß Wut und Haß war, aber nun hab ich gar nichts und werde mir jede Stunde sagen müssen, daß ich ein Lump und ein Feigling geworden bin und daß der Kerl mich untergekriegt hat. Ach, Mutter, es wird nichts. Siebenhaar hat es gut gemeint, aber aus Hund und Katze kann man kein Paar machen; eine Weile mag es gehen, aber mit einem Male hebt die Katze die Pfote wieder, und der Hund packt zu. Hoffentlich bin ich der, der zupackt.«
So redete Lehnert eine gute Weile, bis er zuletzt aufsprang und im Zimmer auf und ab schritt. Aber auch im Aufundabschreiten sprach er noch weiter, allerhand Unverständliches zwischen den Zähnen murmelnd, und mitunter war es, als ob er mitten in einem Streite stünde. Plötzlich blieb er stehen, erst vor der am Ofen hängenden Zither, über deren Saiten er – er war fast ein Virtuos auf diesem Instrument – mechanisch mit dem Zeigefinger hin und her fuhr, dann vor einem alten vergilbten Kalender, der, hart an der Tür, an demselben Riegel wie seine Flinte hing. Eben diese Flinte nahm er jetzt ab und stellte sie beiseit und riß aus dem Kalender ein paar Blätter heraus, hartes, steifes Papier, draus er seine Patronenhülsen zu machen pflegte.
»Was hast du vor, Lehnert? Du willst doch nicht in den Wald, am hellen lichten Tag?«
Es war, als ob die Worte der Alten ihn wieder zu sich brächten. Er lachte und warf die Blätter, deren eines er schon zu drehen begonnen hatte, rasch ins Feuer und hing die Flinte wieder an den Haken, von dem er sie genommen hatte.
Das Ganze war wie ein Anfall gewesen. Rasch, wie es gekommen, ging es wieder, und er kehrte zu seinem Arbeitsschuppen zurück.
Eine Woche verging, während der seine Stimmung beständig wechselte, was bei den Erlebnissen der letzten Zeit und mehr noch bei seinem von Natur beweglichen Gemüt nicht wohl wundernehmen konnte. Denn so gewiß er einen Hang nach dem Abenteuerlichen hatte, so gewiß überkam ihn auch, inmitten dieses Hanges, eine plötzliche Sehnsucht danach, die Hände in den Schoß zu legen und alles ruhig über sich ergehen zu lassen. Er war dann mit einem Male von der Vergeblichkeit alles Ankämpfens überzeugt und verlor in diesem ihn überkommenden Gefühl seiner Ohnmacht auch die Lust zum Kampf. »Ja, die Alte hat eigentlich ganz recht. Was ist all die Jahre bei meiner Auflehnung herausgekommen? Nur Ärger und böses Blut. Und so geht es dann weiter, immer Zug um Zug, bis man sich das Messer in die Brust stößt. Ach, es ist besser, ich tue, was ich versprochen hab, und grüß ihn, anstatt ihn anzustarren und ein spöttisch Gesicht zu machen. Er ist der Stärkere, weil er im Dienst ist und die Gerichte neben und hinter sich hat. Und wer mit dem Stärkeren anbindet, solang er noch eine Wahl hat, der ist ein Narr. Wahrhaftig, was hab ich davon gehabt? Nichts, als daß ich zwei Monate hinter Schloß und Riegel war und daß nun in meinen Akten steht: ›Bestraft‹. Und wer kann immer gleich erzählen, wie's kam und daß es eigentlich nichts war; bestraft ist bestraft, und wenn man gefragt wird, wie's denn eigentlich mit einem stehe, so wird man rot und steht da, als ob man ein Galgenvogel wär oder einer, der den Leuten die Uhr aus der Tasche zieht.«
In dieser Richtung gingen tagelang Lehnerts Betrachtungen, und mehr, er tat auch danach, und wenn er in der letzten Woche, bloß um einer Begegnung auszuweichen, den großen Umweg am Waldsaume hin gemacht
Weitere Kostenlose Bücher