Quo Vadis
herbeiführen.
„Wenn es Schwierigkeiten gibt“, dachte er, „kann Vinicius das Mädchen tragen und Kroton den Weg freimachen.“ Aber die Zeit wurde ihm lang, und die Stille des Eingangs, den er bewachte, beunruhigte ihn.
„Wenn sie das Versteck verfehlen und Lärm machen, so wird sich das Mädchen in Sicherheit bringen.“ Aber dieser Gedanke schien ihm nicht übel; denn in diesem Falle bedurfte Vinicius neuerdings seiner Dienste, und er konnte von ihm nochmals eine bedeutende Anzahl Sesterze erpressen.
„Was immer sie tun, sie arbeiten für mich, ohne es zu ahnen. O Götter! O Götter! Nur erlaubt mir …“
Plötzlich hielt er inne. Durch den Eingang schien jemand herauszusehen; er preßte sich an die Wand und blickte atemlos nach der Stelle.
Und er hatte sich nicht getäuscht. Ein Kopf erschien, schaute umher und verschwand wieder.
„Das ist Vinicius oder Kroton“, dachte er; „aber wenn sie das Mädchen haben, warum ruft es nicht um Hilfe, und warum blicken sie nach der Straße? Sie müssen doch sowieso auf Leute stoßen, denn ehe sie die Carinae erreichen, wird die Stadt in Bewegung sein. Was ist das? Bei den unsterblichen Göttern!“
Der Rest seiner Haare stand ihm zu Berge, denn Ursus erschien in der Tür, der Leichnam Krotons hing über seinem Arm. Ursus blickte noch einmal umher, dann begann er zu laufen und trug den Toten durch die menschenleeren Straßen dem Flusse zu.
Chilon drückte sich so flach gegen die Mauer, daß kaum eine menschliche Gestalt in ihm zu erkennen war.
„Wenn er mich sieht, bin ich verloren“, dachte er.
Aber Ursus rannte um die Ecke und verschwand hinter den nahe liegenden Häusern. Für Chilon war keines Bleibens mehr. Zähneklappernd vor Schrecken, lief er die Querstraße entlang mit einer Eile, die selbst eines jungen Mannes Bewunderung hätte erregen müssen.
„Wenn er mich bei seiner Rückkehr von ferne sieht, so wird er mich fangen und töten“, sagte er zu sich selbst. „Rette mich, Zeus, rette mich, Apollon, rette mich, Hermes, rette mich, o Gott der Christen! Ich will Rom verlassen und nach Mesembria zurückkehren; aber rette mich aus den Händen dieses Teufels!“
Und jener Lygier, der Kroton getötet hatte, erschien ihm in diesem Augenblick wie ein übermenschliches Wesen, als irgendein Gott, der die Gestalt eines Barbaren angenommen. Auf einmal glaubte er an alle Götter der Welt und an alle Mythen, über die er sonst gespottet hatte. Es fiel ihm ein, der Gott der Christen möchte Kroton getötet haben, und seine Haare sträubten sich abermals bei dem Gedanken, daß er mit einer solchen Macht im Streit liege. Erst nachdem er durch viele Gassen geeilt war und von ferne einige Arbeiter auf sich zukommen sah, wurde er etwas ruhiger. Kaum mehr fähig, zu atmen, setzte er sich auf die Schwelle eines Hauses und wischte sich mit einem Ende seines Mantels die schweißbedeckte Stirn ab.
„Ich bin alt und bedarf der Ruhe“, sagte er.
Die Arbeiter bogen in kleine Seitengassen ein, und der Platz um ihn her war wieder leer. Die Stadt schlief noch. Die Viertel der Wohlhabenden belebten sich des Morgens früher, da die Sklaven reicher Häuser vor Tagesanbruch aufstehen mußten; in Stadtteilen mit freier, vom Staate unterstützter Bevölkerung, die ohne Beschäftigung war, erhob man sich ziemlich spät, besonders im Winter. Nachdem Chilon einige Zeit auf der Schwelle gesessen hatte, fühlte er eine schneidende Kälte; er stand auf, überzeugte sich, daß er die von Vinicius empfangene Börse nicht verloren hatte, und wandte sich langsamen Schrittes dem Flusse zu.
„Ich möchte Krotons Leichnam sehen“, sagte er zu sich selbst.
„O Götter! Dieser Lygier, wenn er ein Mensch ist, könnte sich in einem Jahre Millionen von Sesterzen erwerben; denn wer kann dem widerstehen, der Kroton erwürgt wie einen jungen Hund? Für jedes Auftreten in der Arena würde man ihm soviel Geld geben, wie er selbst wiegt. Er bewacht das Mädchen besser als Cerberus den Hades; aber möge der Hades ihn dafür verschlingen. Ich will nichts mit ihm zu tun haben. Er hat mir zu starke Muskeln. Aber was soll ich tun? Etwas Schreckliches ist geschehen. Wenn er die Knochen eines Mannes wie Kroton zerbrochen hat, dann stöhnt ohne Zweifel auch die Seele des Vinicius über jenem verfluchten Hause und harrt des Begräbnisses. Bei Kastor! Aber Vinicius ist ein Patrizier, ein Freund des Cäsars, ein Verwandter des Petronius, ein Kriegstribun, ein Mann, den ganz Rom kennt. Sein Tod kann
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