Quo Vadis
umsprangen ihn in tollem Wirbel und wünschten offenbar, ihn weiterzulocken, denn im nächsten Augenblick flohen sie weg wie ein Rudel scheuer Rehe. Allein er blieb klopfenden Herzens stehen; denn obschon er sah, daß die Diana nicht Lygia war und ihr bei naher Prüfung kaum glich, war die Erinnerung doch zu mächtig. Sehnsucht erfüllte ihn wie nie zuvor, und die Liebe zu Lygia erwachte mit elementarer Gewalt. Nie war sie ihm so teuer, so rein und keusch vorgekommen wie in diesem Haine voll Tollheit und sinnlosen Taumels. Einen Augenblick früher hatte auch er aus dem Becher trinken und an dieser schamlosen Ausgelassenheit sich beteiligen wollen. Nun ekelte ihn davor. Er fühlte, daß ihn etwas zu ersticken drohe, daß er Luft brauche und die Sterne sehen müsse, die das Dickicht dieses entsetzlichen Haines nicht durchdringen konnten. Er wollte fliehen, doch plötzlich tauchte eine verschleierte Gestalt vor ihm auf, legte die Hände auf seine Schultern und flüsterte, ihren heißen Atem in sein Gesicht hauchend:
„Ich liebe dich! Komm! Niemand sieht uns. Schnell!“
Vinicius erwachte wie aus einem Traume.
„Wer bist du?“
„Rate!“
Dabei preßte sie die Lippen durch den Schleier auf seinen Mund, drückte sein Haupt an sich, bis ihr endlich der Atem ausging und sie ihn loslassen mußte.
„Nacht der Tollheit“, sagte sie keuchend. „Heute ist jeder frei!“
Doch dieser Kuß brannte Vinicius und erfüllte ihn mit Schrecken. Sein Herz war anderswo; für ihn gab es auf der Welt nur eine – Lygia. Die verschleierte Gestalt von sich stoßend, sagte er:
„Wer immer du seiest, ich liebe eine andere; ich will nichts von dir.“
„Entschleiere mich“, sprach sie, das Haupt ihm hinhaltend.
In diesem Augenblicke rauschte es in den Blättern der nächsten Myrte, die Verschleierte huschte wie ein Traum davon und ließ aus der Ferne ein fremdklingendes, bedeutungsvolles Lachen hören.
Petronius und Vinicius standen sich gegenüber.
„Ich sah und hörte“, sagte Petronius.
„Laß uns diesen Ort verlassen“, erwiderte Vinicius.
Sie gingen vorbei an den lichtstrahlenden Lupanarien aus dem Haine und an den Reihen berittener Prätorianer und standen vor den Sänften.
„Ich gehe mit dir“, schlug Petronius vor.
Sie stiegen ein. Beide schwiegen. Erst im Atrium der Wohnung seines Neffen fragte Petronius:
„Weißt du, wer es war?“
„War es Rubria?“ fragte Vinicius seinerseits, entrüstet beim Gedanken, daß Rubria eine Vestalin war.
„Nein.“
„Wer denn?“
Petronius dämpfte die Stimme.
„Das Feuer der Vesta ist geschändet, denn Rubria war mit dem Cäsar. Mit dir aber sprach“ – und seine Stimme wurde noch leiser – „die göttliche Augusta.“
Ein Augenblick des Schweigens herrschte.
„Der Cäsar“, fuhr Petronius fort, „konnte seine Begierde nach Rubria vor Poppäa nicht verbergen. Sie wollte sich offenbar dafür rächen. Ich trat dazwischen. Denn hättest du die göttliche Augusta erkannt und zurückgewiesen, so wärest du rettungslos verloren – du, Lygia und vielleicht auch ich.“
„Ich habe Rom, Cäsar, Feste, die Augusta, Tigellinus, euch alle satt“, stieß Vinicius hervor. „Ich ersticke. Ich kann so nicht weiterleben. Ich kann nicht. Verstehst du mich?“
„Vinicius, du verlierst Urteil, Besonnenheit, Mäßigung.“
„Ich liebe nur sie.“
„Was weiter?“
„Dies, daß mich nach keiner anderen Liebe verlangt. Mich gelüstet nicht nach eurem Leben, euren Festen, euren Lastern und Verbrechen!“
„Was geht mit dir vor? Bist du ein Christ?“
Der junge Mann stützte das Haupt in die Hände und rief wie verzweifelt:
„Noch nicht! Noch nicht!“
XXXII
Petronius ging achselzuckend und sehr unzufrieden nach Hause. Es war offenbar, daß er und Vinicius sich nicht mehr verstanden, daß ihre Seelen sich entfremdet hatten. Einst hatte Petronius unbeschränkten Einfluß auf den jungen Krieger ausgeübt. In allem war er ihm Vorbild gewesen; meistens bedurfte es nur einiger ironischer Worte von seiner Seite, um Vinicius zu zügeln oder zu etwas zu drängen. Damit war es aus. So groß war die Veränderung, daß Petronius seine frühere Methode gar nicht mehr versuchte; er fühlte, daß Witz und Ironie wirkungslos abgleiten würden an den neuen Grundsätzen, die die Liebe und die Berührung mit dem Christenglauben in das Herz des Vinicius gesenkt hatten. Der alte Skeptiker erkannte, daß ihm der Schlüssel zu dieser Seele verlorengegangen sei. Diese Erkenntnis
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