Quo Vadis
annahmen, der Cäsar würde Lygia Vinicius schenken oder habe sie ihm bereits geschenkt; war sie doch eine Geisel und als solche berechtigt, jede beliebige Gottheit zu bekennen. Ihre Bestrafung war nach dem Völkerrecht verboten.
Ungewißheit und Neugier beherrschten alle Zuschauer. Der Cäsar langte früher als sonst an; und sobald er erschien, flüsterte man sich zu, etwas Außerordentliches müsse im Werke sein, denn außer Tigellinus und Vatinius hatte Nero Cassius bei sich, einen Zenturio von riesiger Größe und hünenhafter Stärke, dessen Dienst er nur dann in Anspruch nahm, wenn es galt, einen Beschützer an der Seite zu haben, z. B. bei nächtlichen Feldzügen in die Subura. Auch wußte man, daß im Amphitheater selbst Vorsichtsmaßregeln getroffen waren. Die Prätorianerwache erschien zahlreicher als sonst, doch nicht unter der Führung eines Zenturio, sondern des Tribunen Subrius Flavius, dessen blinde Ergebenheit Nero gegenüber bekannt war. Offenbar wollte der Cäsar sich gegen einen Ausbruch der Verzweiflung von seiten des Vinicius sichern. Die Neugier war aufs höchste gespannt.
Jedes Auge suchte den Platz, wo der unglückliche Liebende saß. Er war über die Maßen blaß. Schweißtropfen standen auf seiner Stirn. Nicht minder gespannt als die übrigen, war er zudem bis in die tiefste Seele erschüttert. Petronius hatte ihm nichts von dem gesagt, was bei Nerva besprochen worden war, und blieb auch jetzt schweigsam, nur einmal richtete er an seinen Neffen die Frage, ob er auf alles gefaßt sei und ob er im Amphitheater auszuharren gedenke. Beide Fragen bejahte Vinicius, während ein Schauer durch seinen Körper rann. Er ahnte, daß Petronius nicht ohne Grund fragte. Nur halb noch am Leben, halb schon im Jenseits, hatte er sich mit Lygias Tod vertraut gemacht, da dieser ja für sie beide Erlösung und Vereinigung bedeutete; nun aber mußte er einsehen, daß es ein anderes sei, an den Augenblick des Todes wie an ein friedliches Entschlummern zu denken, solange dieser Augenblick noch fern war, als dem Martertode des Teuersten auf Erden zuzuschauen. All die früher empfundenen Seelenqualen erwachten wieder, Verzweiflung, die verstummt schien, schrie von neuem laut auf in seinem Herzen. Am frühen Morgen hatte er versucht, in die Cunicula zu dringen und sich Gewißheit zu verschaffen, ob sie dort sei; allein Prätorianer standen vor jedem Eingang und hatten so strenge Befehle, daß weder Bitten noch Gold ihnen die geringste Nachgiebigkeit abzugewinnen vermochten. Vinicius glaubte vor Ungewißheit zu sterben, noch vor Beginn des Schauspiels. Zwar verlor er nicht ganz die Hoffnung, daß Lygia vielleicht nicht im Amphitheater zu sterben brauchte und daß darum seine Angst grundlos sei. Er suchte sich einzureden, Christus könne sie wohl aus dem Kerker zu sich nehmen, doch nimmer werde er zulassen, daß man sie im Zirkus martere. Früher hatte er dem Willen Gottes alles anheimgestellt; nun kehrte er, in den Cunicula zurückgewiesen, an seinen Platz im Amphitheater zurück und faßte, als die neugierigen Blicke ihm seine Befürchtungen als wahr erscheinen ließen, die ganze Seele in einem leidenschaftlichen, beinahe drohenden Gebet zusammen.
„Du vermagst es!“
„Du vermagst es“, wiederholte er, krampfhaft die Fäuste ballend.
Niemals hatte er geahnt, wie entsetzlich ihm diese Stunde werden würde, und er dachte, ohne sich dessen völlig bewußt zu sein, wenn er Lygia gemartert sehen sollte, so müßte seine Liebe zu Gott sich in Haß verwandeln, sein Glaube in Verzweiflung. Entsetzen ergriff ihn über diese Gedanken, die eine Beleidigung des Gottes waren, zu dem er um Erbarmen und Wunder bat. Er flehte nicht mehr um ihr Leben, nur um die Gnade, daß sie sterben möge, bevor man sie in die Arena treibe. Aus der Tiefe seiner Qual drang es zum Himmel empor:
„Versage mir wenigstens dies nicht, so will ich dich noch mehr als bisher lieben!“
Und seine Gedanken rasten wie das Meer im Sturm. Heiße Wünsche nach blutiger Rache erwachten; es trieb ihn, sich auf Nero zu stürzen und den Bluthund vor aller Augen zu erwürgen. Doch sofort erkannte er diesen Gedanken als eine Sünde, eine Übertretung des göttlichen Gebotes. Zuweilen flammte ein Hoffnungsstrahl durch seine gequälte Seele. Wie, wenn eine allmächtige Hand alles abwendete, wovor er zitterte? Doch diese Hoffnung erstarb so schnell, wie sie gekommen war. Er, der mit einem Worte den ganzen Zirkus zertrümmern und Lygia retten konnte, hatte sie
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