Quo Vadis
mehr, zu Christus zu beten, daß er Lygia dieses Glück vorenthalte oder auf Jahre hinaus verzögere. In seiner Einfalt dachte er sich, der Tochter des Lygierkönigs gebühre ein besonders großer Anteil an jener himmlischen Wonne, sie werde höhere Seligkeit genießen als ein ganzer Haufe seinesgleichen zusammengenommen und näher denn alle anderen am Throne des Lammes sitzen. Zwar hatte er gehört, vor Gott seien alle gleich, doch in der Tiefe seiner Seele hegte er die Überzeugung, die Tochter eines Königs, und vor allem des Königs sämtlicher Lygier, sei denn doch etwas anderes als der erste beste Sklave. Zudem hoffte er, Christus werde ihm gestatten, ihr ferner zu dienen. Sein einziger Wunsch war, am Kreuze zu sterben gleich dem „Lamme“. Allein es schien ihm dies ein solches Glück, daß er kaum darum zu bitten wagte, obschon er wußte, daß nach römischem Gesetz die ärgsten Verbrecher auch gekreuzigt wurden. Er hielt es für sicher, daß ihm der Tod durch wilde Tiere bestimmt sei. Das war sein Kummer. Von Kindheit an hatte er in unzugänglichen Wäldern beständig als Jäger gelebt und dabei, dank seiner Riesenkraft, schon vor dem Mannesalter bei den Lygiern Berühmtheit erworben. Diese Beschäftigung war ihm so angenehm geworden, daß er später in Rom Vivarien und Amphitheater aufsuchte, um nur bekannte und unbekannte Tiere zu sehen. Ihr Anblick weckte in ihm stets ein brennendes Verlangen nach Kampf und Jagdglück, so daß er fürchtete, im Amphitheater von Gedanken versucht zu werden, die eines Christen unwürdig waren, dessen Pflicht es sei, fromm und geduldig zu sterben. Allein er überließ dies dem Willen Gottes und tröstete sich mit anderen, ihm willkommeneren Gedanken. Das „Lamm“ hatte ja den Mächten der Hölle, den bösen Geistern, wie der Christenglaube alle heidnischen Gottheiten bezeichnete, den Krieg erklärt; in diesem Kriege, glaubte Ursus, könnte er dem „Lamme“ von größerem Nutzen sein als andere; denn er war der Meinung, auch seine Seele sei stärker als jene anderer Märtyrer. Er betete tagelang, half den übrigen Gefangenen, diente den Aufsehern und sprach seiner Prinzessin Trost zu, wenn sie klagte, in ihrem Leben nicht so viel Gutes vollbracht zu haben wie die berühmte Tabitha, von der Petrus gesprochen hatte. Selbst die Gefängniswärter, die ihn um seiner Stärke willen fürchteten, liebten ihn schließlich seiner Sanftheit wegen. Mehr als einmal fragten sie ihn nach der Ursache seiner guten Stimmung, worauf er mit so felsenfester Gewißheit von dem Leben sprach, das ihm jenseits des Grabes zuteil würde, daß die Wärter verwundert zuhörten und erkannten, daß Seligkeit auch in einen Kerker gelangen kann, in den die Sonne nicht einzudringen vermag. Und wenn er sie aufforderte, an das „Lamm“ zu glauben, fiel es manchem ein, daß eigentlich seine Arbeit die Arbeit eines Sklaven, sein Leben das eines Unglücklichen sei, und mancher begann über sein hartes Geschick nachzudenken, dessen einziges Ziel der Tod war.
Aber ihnen bedeutete der Tod neue Furcht und versprach nichts jenseits seiner Schwelle. Der Hüne aber und das Mädchen, das einer auf Kerkerstroh hingestreuten Blume glich, sie gingen ihm freudig, wie einem Glück entgegen.
LXV
Eines Abends erhielt Petronius den Besuch des Senators Scaevinus. Sie unterhielten sich über die schreckensvolle Zeit, in der sie lebten, und Scaevinus lenkte das Gespräch auch auf den Cäsar. Er redete so offen, daß Petronius, obwohl sie Freunde waren, vorsichtig zu werden begann. Die Welt lebe in Tollheit und Ungerechtigkeit, so klagte Scaevinus, und alles treibe einer noch schrecklicheren Katastrophe zu, als der Brand Roms gewesen sei. Der Senator erzählte, sogar Augustianer wären mißvergnügt, und Fennius Rufus, der zweite Präfekt der Prätorianer, führe nur mit größtem Widerwillen Tigellinus’ grausame Befehle aus; alle Verwandten Senecas sähen sich wegen Neros Verhalten gegen seinen alten Lehrer und gegen Lucanus zum Äußersten getrieben. Schließlich sprach er von der Unzufriedenheit des Volkes und selbst der Prätorianer, deren größerer Teil von Fennius Rufus gewonnen sei.
„Aus welchem Grunde sagst du mir das?“ forschte Petronius.
„Sei außer Sorge wegen des Cäsars“, sprach Scaevinus. „Ich habe einen entfernten Verwandten, auch einen Scaevinus, unter den Prätorianern; durch ihn kenne ich alle Vorkommnisse im Lager. Die Abneigung ist auch dort im Wachsen begriffen. Caligula war ebenfalls
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