Quo Vadis
Gedächtnis hatte, wiederholte nun einzelne Stellen aus der Hymne, pries und analysierte ihre schönsten Gedanken. Lucanus vergaß scheinbar seinen Neid angesichts solcher Poesie und stimmte entzückt Petronius’ Worten bei. Auf Neros Antlitz spiegelten sich Wonne und maßlose Eitelkeit, die nicht bloß an Wahnwitz grenzte, sondern in Wahnwitz überging. Er zitierte die Verse, die er für die schönsten hielt, und tröstete schließlich Lucanus, indem er ihn aufmunterte, den Mut nicht zu jerlieren; denn obschon ein Mann bleibe, was er von Geburt an sei, so schließe doch dem Jupiter erwiesene Ehre die Ehrfurcht vor den übrigen Göttern nicht aus.
Darauf erhob er sich, um Poppäa zu begleiten, die wirklich unwohl war und sich zurückzuziehen wünschte. Er befahl den Gästen, sitzen zu bleiben, und versprach, bald zurückzukehren. In der Tat trat er nicht lange danach wieder ein, um sich vom Weihrauchduft abermals betäuben zu lassen und weiteren Vorstellungen zuzuschauen, die er selber, Petronius oder Tigellinus für das Fest angeordnet hatten.
Wieder wurden Verse gelesen oder Dialoge gesprochen, in denen Überspanntheit die Stelle des Geistes vertrat. Nachher stellte der berühmte Mime Paris die Abenteuer der Jo, der Tochter des Inachus, dar. Die Gäste, besonders Lygia, solcher Szenen ungewohnt, glaubten Wunder und Zauberei zu sehen. Paris konnte mit bloßen Bewegungen der Hände und des Körpers Dinge ausdrücken, die tänzerisch darzustellen unmöglich schien. Seine Hände zauberten eine Wolke in die Luft, licht, lebendig, lüstern, die die halb bewußtlose Gestalt einer vor Wonne zitternden Jungfrau umfloß. Es war ein Gemälde, nicht ein Tanz, ein inhaltsvolles Gemälde, die Geheimnisse der Liebe enthüllend, bezaubernd, doch schamlos; und als Korybanten hereinstürzten und unter Begleitung von Zithern, Lauten, Trommeln und Zimbeln mit syrischen Mädchen einen bacchantischen Tanz aufführten – einen Tanz voll wilden Geschreis und noch wilderer Ausgelassenheit –, da schien es Lygia, als ob flüssiges Feuer sie durchströmte und als ob ein Donnerkeil auf dieses Haus oder die Decke auf die Häupter der Zecher herabfallen müßte.
Doch aus dem goldenen Netz an der Decke droben fielen nur Rosen herab, und Marcus Vinicius, halb betrunken, sagte:
„Ich sah dich im Hause des Aulus beim Springbrunnen. Es war in der Morgendämmerung, und du glaubtest dich unbeobachtet, aber ich sah dich doch. Und so sehe ich dich jetzt noch, wenn auch dieser Peplos dich verbirgt. Wirf den Peplos ab wie Crispinilla. Sieh, Götter und Menschen verlangen nach Liebe. Lege das Haupt an meine Brust und schließe die Augen.“
Lygias Pulse klopften zum Zerspringen. Ihr war, als ob sie in einen Abgrund stürze und Marcus, scheinbar so edel, statt zu retten, sie zum Abgrund hinziehe. Sie zürnte ihm. Ihre Furcht vor dem Gelage, vor Marcus und sich selber erwachte von neuem. Eine Stimme, ähnlich der Pomponias, rief in ihrem Innern: Lygia, rette dich! Doch eine andere Stimme sagte ihr, daß es zu spät sei, daß, wen solche Glut ergriffen wie sie, wer diesem Gelage zugeschaut, wessen Körper solche Schauer durchrieselten wie den ihren bei den Worten des Vinicius, daß der rettungslos verloren sei. Ihre Kraft schwand. Sie fürchtete, in Ohnmacht zu fallen, aber dann könnte Schreckliches geschehen. Wenn sie nicht Neros Zorn reizen wollte, durfte sie sich nicht erheben, bevor er aufbrach, und wäre dies auch ihr Vorsatz gewesen, so hätte sie doch nicht Kraft genug gefunden, um aufzustehen.
Das Gelage war noch weit vom Ende entfernt. Sklaven trugen neue Gerichte auf und füllten unaufhörlich die Becher. Zwei Athleten traten auf, um den Gästen das Schauspiel eines Ringkampfes zu bieten.
Sie umfaßten sich, so daß die kraftvollen, von Öl glänzenden Körper eine Masse zu bilden schienen. Die Knochen der stahlharten Arme krachten; grinsend wiesen sie einander die Zähne. Bisweilen hörte man einen Moment lang den dumpfen Aufprall ihrer Füße auf dem mit Safran überstreuten Boden; im nächsten Augenblick waren sie wieder bewegungslos wie eine Marmorgruppe. Die Augen der Römer folgten entzückt den Bewegungen der kraftstrotzenden Schenkel und Arme. Doch der Kampf dauerte nicht lange; denn Kroton, ein Meister und Gründer einer Gladiatorenschule, galt nicht umsonst als einer der stärksten Männer des Reiches. Sein Gegner atmete immer schwerer; ein Röcheln drang aus seiner Kehle, sein Gesicht begann sich blau zu färben, er spuckte
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