Quo Vadis
Faun.“
Petronius war nicht betrunken, Nero dagegen, der anfangs mit Rücksicht auf seine „Götterstimme“ wenig getrunken, hatte nachher Becher um Becher geleert und sich berauscht. Er wollte sogar weitere – diesmal griechische – Verse eigener Dichtung vortragen, hatte sie jedoch vergessen und sang irrtümlicherweise eine Ode von Anakreon. Pythagoras, Diodoros und Terpnos begleiteten ihn, da er jedoch immer aus dem Takte fiel, ließen sie bald davon ab. Nero war als Kenner entzückt von Pythagoras’ Schönheit und begann dessen Hände inbrünstig zu küssen.
„Solch schöne Hände habe ich nur einmal gesehen; wem gehörten sie?“
Die Hand an die feuchte Stirn legend, versuchte er, sich zu erinnern. Nach einer Weile erbleichte er sichtlich. Ah! Seiner Mutter, Agrippina gehörten sie! Ein düsteres Bild trat vor seinen Geist.
„Man sagt“, sprach er, „sie wandle bei Mondschein auf dem Meere um Bajae und Puteoli herum. Sie wandelt bloß, wandelt, als ob sie nach etwas suche. Kommt sie in die Nähe eines Bootes, so blickt sie es an und geht vorbei; der Fischer aber, auf dem ihr Auge geruht hat, stirbt.“
„Kein schlechtes Thema“, sagte Petronius.
Vestinus streckte den Hals wie ein Storch aus und flüsterte geheimnisvoll:
„Ich glaube nicht an die Götter, aber an Geister, oh!“
Nero hörte nicht auf sie, sondern fuhr fort:
„Ich habe die Lemurien gefeiert, ich will sie nicht sehen. Fünf Jahre sind’s seither. Ich mußte sie verurteilen, denn sie sandte Mörder gegen mich; wäre ich ihr nicht zuvorgekommen, so würdet ihr mich heute nicht haben singen hören.“
„Wir danken dem Cäsar im Namen Roms und des Erdkreises!“ rief Domitius Afer.
„Wein her! Musik!“
Der Lärm begann von neuem. Lucanus, ganz in Efeu verstrickt, wollte ihn überbieten; er erhob sich und brüllte: „Ich bin kein Mensch, sondern ein Faun und wohne in den Wäldern. Eho – o – oo!“
Der Cäsar betrank sich immer mehr; Männer waren betrunken, Frauen waren betrunken. Marcus Vinicius war es nicht weniger als andere, und zudem erwachte in ihm neben der Begierde Streitsucht, was jedesmal geschah, wenn er sein Maß überschritten hatte. Sein gebräuntes Gesicht wurde blasser, und die Zunge stotterte, als er in leisem, doch befehlendem Tone sagte:
„Biete mir deine Lippen! Heute, morgen, alles ist eins. Genug davon! Der Cäsar nahm dich Aulus weg, um dich mir zu schenken, verstehst du? Morgen abend will ich nach dir senden, verstehst du? Der Cäsar versprach dich mir, bevor er dich holen ließ. Du mußt mir gehören. Die Lippen her! Ich warte nicht bis morgen – schnell, laß dich küssen!“
Er wollte sie umarmen; doch Acte verteidigte sie, und Lygia selber wehrte sich mit dem Rest ihrer Kraft, denn sie fühlte, daß sie unterliegen würde. Umsonst suchte sie mit beiden Händen seinen Arm wegzureißen; umsonst bat sie ihn mit vor Angst und Schmerz bebender Stimme, er möge Mitleid mit ihr haben. Sein nach Wein riechender Atem rückte ihr näher und näher. Er war nicht mehr der frühere, gütige Marcus, den sie beinahe liebte; er war ein trunkener, teuflischer Satyr, der ihr Entsetzen und Ekel einflößte. Aber die Kraft verließ sie zusehends. Vergebens bog sie das Haupt zurück, um seinen Küssen zu entgehen. Er stellte sich auf die Füße, umfaßte sie mit beiden Armen, zog sie an sich und begann keuchend seine Lippen auf ihren Mund zu drücken.
In diesem Augenblick jedoch riß eine fürchterliche Kraft seine Arme von ihrem Halse weg, so leicht, als wären es die Arme eines Kindes, und stieß ihn beiseite wie ein dürres Blatt. Was war geschehen? Marcus rieb sich die Augen und sah die Riesengestalt Ursus’, des Lygiers, den er vom Hause des Aulus her kannte, vor sich stehen.
Ursus blieb ruhig, schaute aber Marcus so durchdringend an, daß diesem das Blut in den Adern stocken wollte; dann ergriff der Riese seine Prinzessin am Arm und schritt ruhigen Ganges aus dem Triclinium hinaus.
Acte folgte sofort.
Einen Augenblick stand Marcus wie versteinert da; dann sprang er empor und rannte schreiend nach dem Ausgang:
„Lygia! Lygia!“
Doch Begierde, Staunen, Wut und Wein beraubten ihn seiner Kraft. Er stolperte einmal, zweimal, faßte den nackten Arm einer Bacchantin und fragte blinzelnden Auges, was geschehen sei. Die ergriff einen vollen Becher und sagte, mit einem Lächeln um ihre benebelten Augen:
„Trink!“
Marcus trank und fiel zu Boden.
Die Mehrzahl der Gäste lag unterm Tische; andere
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