Föhnfieber: Kriminalroman (German Edition)
1
Countdown
Föhn. Nacht für Nacht war es
da – Blutgier.
Der Panther
lag reglos oben im Baum auf seinem Ast, starrte mit grünen Augen. Scheinbare Leere,
Sprungbereitschaft, pulsierendes Fleisch zu reißen, das Töten. Sie hatten ihn belauert,
zur Übung. Ein einziger Schuss war erlaubt, dann der Kampf mit dem Messer, dann
das Herz herauszureißen, sich damit zu verschmieren, es warm herunterzuschlingen.
Das ist Rausch. Seither war er Panther.
Während
Jahre in regloser Wartestellung vergingen, das Leben auf dieses Ziel ausgerichtet.
Ein Schauer lief seinen Rücken hinunter.
Töten war
das Recht des Stärkeren, es hieß überleben, hieß Blut.
Er stand
im Dunkeln an die Hauswand gelehnt auf dem schmalen Betonbalkon seiner Zweizimmerwohnung
oben im Wohnblock der Freudenberg Überbauung. Er schaute über das schwarz daliegende
Kirchenfeldquartier, den Waldschatten des Dählhölzli vor dem Lichtschein von Köniz,
die blinkenden Lichter des Spiegelquartiers, in totaler Schwärze die Himmelslinie
des Gurtens. Die Stadt wusste er vor sich, rechts unten, doch da war die Rückseite
des neuen Wohnblocks davor. Gleich unter ihm die Einfahrt zum Parkhaus des Einkaufszentrums,
gleich vor dem Block der stete Verkehr der Autobahn, Scheinwerfer. Es gab zwei Verkehrsströme
nach rechts, die Autobahn und die alte Hauptstraße, beide führten zum Wankdorf,
seine Muskeln spannten, zum Stadion.
Das Wohnzimmer
hinter ihm lag im Dunkeln, sodass sich keine Silhouette zeigte, wenn er sich denn
bewegte, kein noch so zufälliges Bemerken seiner Anwesenheit im riesengroßen Geviert
von Wohnungen. Er sog den scharfen Rauch seiner Zigarette ein, fühlte ihn den Rachen
hinunter bis in die Lungen, ätzend.
Er starrte
auf die im Dunkeln rot glimmende Zigarettenspitze, diesen einen flackernden Punkt,
konzentrierte seine ganze Potenz in diesem roten Brennen. So war sein Hass, seine
Wut, rot glühend wie geschmolzener Stahl im Hochofen des Eisenwerks, rot lodernd
wie das Magma im Krater des brodelnden Ätna, aufkochend, aufsteigend, überlaufend,
alles verzehrend, zischend zermalmend, vernichtend. Seine Gier zu töten.
Auch unter
dieser Stadt, zuinnerst in der Tiefe, war kochendes Magma, so war es überall. Die
hier lebenden Menschen mochten das vergessen haben im immerwährenden Anblick der
vereisten Alpen. Sie würden sich erinnern, wenn es aufbräche, dass es immer schon
da war. Er würde ihnen einen Vorgeschmack darauf geben in den gellenden Schreien
aus Tausenden von aufgerissenen Mündern. Sein Hass war röter als dieser Schrei.
Er drückte
seine Zigarette im Aschenbecher aus.
Endlich. Jahr um Jahr hatte
er gewartet. Nicht, dass ihm das Warten etwas ausgemacht hätte. Das gehörte dazu,
Gelassenheit, kalte Ruhe. Die vergangenen Jahre waren auf diesen Punkt ausgerichtet
gewesen. Jetzt war der Countdown ausgelöst. Er war sich dessen nicht voll bewusst
gewesen, bis dieses Gefühl des Triumphs ihn durchströmt hatte. Jetzt herrschte er
und kein anderer über Leben und Tod. Es würde Blut fließen. Das Blut von dumpfen
Massenmenschen, besoffenen Zombies. Seinen Auftraggebern ging es um das Zeichen.
Heute ging es ihm nur noch um seinen Auftrag und ums Töten. Der Wille zu töten war
das Zeichen des Herrschers. Die Tat war eine magische Tat, wirkte möglicherweise
in andere Dimensionen. Er sagte Ja zu seinem Dämon.
Böse hieß
zerstören, quälen, vernichten, auslöschen, ausradieren, zerstampfen. Er hatte es
beim Töten des Panthers gewusst, du vereinst dich mit dem Dämon, der auch dein Blut
trinken wird.
Es würde
das Stadion sein: Wegen der Potenzierung der Energien, die das Stadion allein schon
durch seine Architektur auslöste. Wegen der Massenansammlung von Menschen. Die Weltaufmerksamkeit
würde durch die Zahl da sein, und sie wiederum würde potenzierend wirken.
Er verstand
etwas von Bewusstseinsenergien, er hatte damit umzugehen gelernt. Sie wirkten in
der siebten Dimension, der Ebene außerhalb von Zeit und Raum.
Sein Auftrag
war real und geistig. Es ging darum, die Zerstörung in dieser nächsthöheren Dimension
einzuhängen und dadurch die menschliche Bewusstseinsentwicklung zum Dunklen zu leiten.
Das war gar nicht so schwierig, weil das 20. Jahrhundert darauf vorbereitet hatte.
Für die
Aktion »Minotaurus« kam der Tod des Architekten ungelegen, das sagte ihm sein Gefühl,
damit könnte die Aufmerksamkeit von irgendjemandem am falschen Ort hängen bleiben.
Wessen Aufmerksamkeit? War es denn nicht einfach ein
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