Quo Vadis
häufig zum Vergnügen Überfälle veranstaltete, sowohl in der Subura als in anderen Teilen der Stadt. Es war auch bekannt, daß er zuweilen von diesen nächtlichen Abenteuern schwarze und blaue Flecke davontrug; aber wer immer sich zu verteidigen wagte, der ging zum Tode, wäre es selbst ein Senator gewesen. Das Wachthaus der Stadt lag nicht sehr fern, aber während solcher Angriffe schien die Wache taub und blind.
Inzwischen mehrte sich die Verwirrung um die Sänfte. Die Leute schlugen zu, kämpften, warfen einander um und traten sich mit Füßen. Da faßte Atacinus die Idee, vor allem Lygia und sich selber zu retten und die anderen ihrem Schicksal zu überlassen. Er zog Lygia daher aus der Sänfte, nahm sie auf den Arm und suchte in der Dunkelheit zu entkommen.
Doch Lygia rief: „Ursus! Ursus!“ Sie war in Weiß gekleidet und somit leicht zu erkennen. Darum schlug Atacinus mit dem freigebliebenen Arm hastig seinen eigenen Mantel um sie, als eine schreckliche Faust seinen Nacken umklammerte und ein Schlag wie von einem alles zermalmenden Stein auf seinen Kopf niederfiel.
Er brach zusammen wie ein Stier, der am Altar Jupiters vom Beil getroffen war. Die Sklaven lagen größtenteils auf dem Boden oder hatten sich, begünstigt durch die tiefe Dunkelheit, längs der Mauern gerettet. Auf dem Platze war nur mehr die zerbrochene Sänfte. Ursus brachte Lygia nach der Subura. Seine Gefährten folgten ihm und zerstreuten sich allmählich auf dem Wege.
Die Sklaven versammelten sich vor dem Hause des Vinicius und berieten. Sie wagten es nicht, einzutreten. Nach kurzer Überlegung kehrten sie zum Orte des Kampfes zurück, wo sie einige Leichname fanden; Atacinus lebte noch, aber nach einer letzten heftigen Zuckung streckte er sich und war tot.
Sie hoben ihn auf, gingen wieder zurück und hielten vor dem Tor ein zweites Mal; doch mußten sie ihren Herrn von dem Vorgefallenen benachrichtigen.
„Laßt Gulo die Botschaft bringen“, flüsterten einige Stimmen; „das Blut fließt von seinem Gesicht wie von unserem, und der Herr liebt ihn, für ihn ist es weniger gefährlich als für andere.“
Gulo, ein Germane, ein alter Sklave, der Vinicius erzogen hatte und ihm von seiner Mutter, der Schwester des Petronius, vererbt worden war, sprach:
„Ich will’s ihm sagen; aber kommt alle mit, laßt seinen Zorn nicht auf mein Haupt allein fallen!“
Vinicius wurde ungeduldig. Petronius und Chrysothemis lachten, er aber ging mit raschen Schritten im Atrium auf und ab.
„Sie müßten hier sein! Sie müßten hier sein!“
Er wollte hinausgehen und der Sänfte entgegeneilen, aber Petronius und Chrysothemis hielten ihn zurück.
Plötzlich ertönten im Eingang Schritte, die Sklaven stürzten ins Atrium, erhoben, an der Mauer haltmachend, ihre Hände und begannen stöhnend zu wehklagen: „Aaaa – aaaa!“
Vinicius sprang ihnen entgegen.
„Wo ist Lygia?“ schrie er mit schrecklicher Stimme.
„Aaaa!“
Da drängte sich Gulo mit seinem blutenden Antlitz vor und rief hastig und mitleiderregend aus:
„Sieh unser Blut, Herr! Wir fochten! Sieh unser Blut! Sieh unser Blut!“
Aber er hatte noch nicht zu Ende geredet, als Vinicius einen bronzenen Leuchter ergriff und mit einem Schlage die Hirnschale des Sklaven zerschmetterte.
Während er den eigenen Kopf mit beiden Händen ergriff und mit den Fingern in den Haaren wühlte, rief er mit heiserer Stimme:
„Me miserum! Me miserum!“
Sein Angesicht wurde blau, seine Augen rollten in ihren Höhlen, Schaum trat auf seine Lippen.
„Die Peitsche!“ brüllte er mit unmenschlicher Stimme.
„Gebieter! Aaaa! Habe Erbarmen!“ seufzten die Sklaven.
Petronius stand auf mit einem Ausdruck von Ekel in den Zügen.
„Komm, Chrysothemis!“ sagte er. „Wenn es dein Wunsch ist, rohes Fleisch zu beschauen, so will ich den Befehl erteilen, in den Carinae einen Metzgerladen zu öffnen.“
Und er verließ das Atrium.
Durch das ganze Haus, das im Grün des Efeus prangte und für ein Fest gerüstet war, hörte man bis zum Morgengrauen das Sausen der Peitsche.
XI
Vinicius ging in jener Nacht nicht zu Bett. Einige Zeit nach Petronius’ Weggang sammelte er, da das Winseln der gepeitschten Sklaven seine Wut nicht zu löschen vermochte, eine Schar anderer Diener um sich und ging auf die Suche nach Lygia, obschon die Nacht weit vorgeschritten war. Er durchsuchte das esquilinische Stadtviertel, dann die Subura, den Vicus Sceleratus und die anstoßenden Straßen. Darauf umschritt er das
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