Quo Vadis
bereit, ganz Rom auszurotten, und hätte ein Rachegott ihm versprochen, daß alle Menschen, er und Lygia ausgenommen, sterben sollten, er würde freudig zugestimmt haben.
Angesichts des Torbogens jedoch gewann Vinicius die Geistesgegenwart wieder, und als er vor der Wache stand, kam ihm seine frühere Schlußfolgerung in den Sinn: „Wenn sie die geringste Schwierigkeit machen, so beweist das, daß Lygia mit des Cäsars Willen im Palaste ist.“
Doch der Zenturio grüßte mit freundlichem Lächeln, trat näher heran und sagte:
„Sei gegrüßt, edler Tribun. Wenn du vom Cäsar eine Audienz wünschest, die Stunde ist übel gewählt. Du wirst kaum zu ihm gelangen.“
„Was ist geschehen?“ fragte Vinicius.
„Die göttliche Prinzessin Augusta erkrankte gestern plötzlich. Der Cäsar und Augusta Poppäa sind um sie mit den Ärzten, die aus allen Teilen der Stadt herbeigerufen wurden.“
Das war ein wichtiges Ereignis. Nero war, als ihm diese Tochter geboren wurde, vor Freude außer sich gewesen und hatte sie „extra humanum gaudium“ begrüßt. Vor der Entbindung hatte der Senat Poppäas Schoß den Göttern mit ungewöhnlicher Feierlichkeit anempfohlen. Ein Opfer war in Antium, wo die Entbindung stattfand, dargebracht worden; glänzende Spiele wurden gefeiert und überdies den beiden Fortunen ein Tempel errichtet. Nero, nirgends maßhaltend, liebte das Kind abgöttisch, auch Poppäa war die Tochter lieb, schon aus dem Grunde, weil diese ihre Stellung festigte und ihre Macht unwiderstehlich machte.
Das Schicksal des ganzen Reiches konnte am Leben der kleinen Augusta hängen; aber Vinicius war so sehr mit sich selber und seiner Liebe beschäftigt, daß er den Bericht des Hauptmanns mit den Worten unterbrach:
„Ich will nur mit Acte sprechen.“
Damit war er durch das Tor.
Allein Acte war ebenfalls bei dem Kinde, und der Tribun mußte lange auf sie warten. Erst gegen Mittag erschien sie, bleich und ermattet. Beim Anblick des jungen Römers erblaßte sie noch mehr.
„Acte!“ rief Vinicius, sie bei der Hand in die Mitte des Atriums ziehend, „wo ist Lygia?“
„Eben dies wollte ich von dir erfahren“, antwortete sie, ihn vorwurfsvoll ansehend.
Obschon er sich vorgenommen hatte, Acte in Ruhe nach Lygia auszufragen, preßte er wieder den Kopf zwischen die Hände und sagte mit vor Wut und Schmerz verzerrten Zügen:
„Sie ist fort; man raubte sie mir unterwegs!“
Nach einer Weile faßte er sich und fügte hinzu;
„Acte, wenn dir dein Leben lieb ist, wenn du nicht ein Unheil verursachen willst, dessen Größe du nicht ahnst, so antworte mir offen. Hat der Cäsar sie entführt?“
„Der Cäsar hat gestern den Palast nicht verlassen.“
„Beim Schatten deiner Mutter, bei allen Göttern, ist sie nicht im Palaste?“
„Beim Schatten meiner Mutter, Marcus, sie ist nicht im Palaste, und der Cäsar hat sie nicht entführt. Die kleine Augusta liegt seit gestern krank darnieder, und Nero ist nicht von der Wiege gewichen.“
Vinicius atmete auf, das Schrecklichste war ihm erspart geblieben.
„Dann“, sprach er, sich auf die Bank niederlassend und die Fäuste ballend, „dann hat Aulus sie geraubt. Wehe ihm!“
„Aulus Plautius war diesen Morgen hier. Ich konnte ihn nicht sprechen, weil ich am Krankenlager stand; aber bei Epaphroditus und anderen Dienern des Cäsars hat er sich nach Lygia erkundigt und erklärt, er werde später nochmals vorsprechen, um mich zu treffen.“
„Er wollte den Verdacht von sich ablenken. Hätte er vom Geschehenen nichts gewußt, so würde er sich bei mir nach Lygia erkundigt haben.“
„Er hat auf einer Schreibtafel einige Worte zurückgelassen, denen du entnehmen wirst, daß er wußte, Nero habe Lygia auf dein und Petronius’ Anstiften hin aus seinem Hause holen lassen, und deshalb erwartete, sie werde zu dir gesandt; heute früh war er darum in deiner Wohnung, wo er das Geschehene vernahm.“
Sie eilte in ihr Cubiculum und brachte das Täfelchen. Vinicius überflog den Inhalt und schwieg.
Es schien, als könnte Acte von seinem finsteren Gesichte die Gedanken ablesen, denn sie sagte:
„Nein, Marcus. Es geschah so, wie Lygia wünschte.“
„Du wußtest, daß sie fliehen wollte“, schrie Vinicius.
„Ich wußte, sie würde deine Konkubine nicht werden.“ Dabei blickte sie ihn beinahe streng an.
„Und du – was bist du dein Leben lang gewesen?“
„Eine Sklavin – vor allem.“
Doch seine Wut ließ sich nicht bezähmen. Nero hatte ihm Lygia
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