Rabenschwestern: Kriminalroman (Ein Franza-Oberwieser-Krimi) (German Edition)
wird ein langer Weg.
93 »Hannas Mutter«, sagte Hansen.
»Hannas Mutter?«, fragte Franza.
Sie waren zurück im Präsidium, tranken Kaffee, spürten der Erschöpfung des langen Tages nach, der hinter ihnen lag.
»Was meinst du?«
»Na ja«, sagte Hansen, »ihre Mutter halt!«
Herz schüttelte den Kopf. »Aber die ist doch …«
»Nein«, sagte Hansen, »nein, die ist nicht …«
»Nicht tot?«, fragte Franza und hielt den Atem an. »Hannas Mutter ist nicht tot?«
»Nein«, sagte Hansen, »ist sie nicht. Ich weiß, das haben wir aus irgendeinem Grunde alle angenommen.«
»Ja«, sagte Franza und staunte ein bisschen, »stimmt. Obwohl es uns nie jemand bestätigt hat.«
»Also«, sagte Hansen und strahlte ein bisschen. »Ich habe weiterrecherchiert, nachdem das mit Belitz irgendwie so … ein Erfolg war.«
»Und?«
Plötzlich lag Spannung in der Luft, plötzlich war alle Müdigkeit verflogen.
»Es gibt da eine Rehaklinik etwas außerhalb der Stadt, die ist an ein Kloster angeschlossen. St. Anna. Ich kenne es zufälligerweise, meine Mutter war ein paar Wochen dort nach ihrem Schlaganfall. Ein sehr stiller Ort, ein sehr meditativer. Man kann in diesem Kloster auch wohnen, sehr spartanisch zwar, wie Klosterzellen halt sind, aber, wie gesagt, auch sehr meditativ. Vielleicht …«
»… vielleicht kommst du bitte auf den Punkt, liebster Kollege«, unterbrach ihn Franza.
Hansen grinste. »Ach, Franzalein«, sagte er, »gönn dir doch eine kleine Pause. Jetzt läuft sie dir nicht mehr weg.«
Sie boxte ihn an die Schulter, er lachte.
»Also«, sagte er, »damit ich euch nicht noch länger auf die Folter spanne. In dieser Klinik wird seit gut dreißig Jahren eine Frau namens Rosemarie Umlauf betreut. Sie ist ein Rundumpflegefall, aber sie lebt. Und sie hat derzeit Besuch. Und sie wird weiteren kriegen. Ich habe euch schon angemeldet.«
»Wow«, sagte Herz und stand auf. »Hansen, mein Freund, du bist ein Genie!«
»Ja«, sagte Franza und folgte Herz eilig zur Tür. »Das kann ich nur bestätigen! Danke! Dankedankedanke!!«
Hansen lachte und rief ihnen nach. »Gern geschehen! Kostet euch ein Bier!«
»Nein«, rief Herz, fast schon an der Treppe, »kostet uns zwei. Oder sogar drei. Ein gepflegtes Besäufnis eben.«
Dann waren sie weg.
94 Lilli hält sich gut. Ich habe sie mit ins Zimmer gebracht und gesagt: »Das ist Lilli. Meine Tochter Lilli. Deine Enkelin.«
Nun sitzt Lilli am Bett ihrer Großmutter, die wie ein Kleinkind ist, und gibt ihr zu essen. Man muss sie füttern, waschen, wickeln. Sie hat den Blick auf uns geheftet, aber ich weiß nicht, ob sie uns sieht. Ich lese ihr aus alten Büchern vor, die ich im Kloster gefunden habe. Während ich lese, fühle ich Lillis Augen auf mir und ich spüre ihre Nachdenklichkeit wie ein kühlendes Tuch. Manchmal macht es mich frösteln, ich frage mich, wie das werden soll, meine Tochter und ich und ihre Großmutter und um uns herum all die anderen, die so lange Lillis Familie gewesen sind und auch die meine vor so vielen Jahren, Christian, der kleine Moritz, Dorothee, Hans. Nicht zuletzt Jonas. Nicht zuletzt … Tonio. Aber es wird gehen, irgendwie. Ich bin nicht mehr allein.
95 »Ja«, sagte die Schwester an der Pforte, »eine Frau dieses Namens haben wir hier«, und »ja«, sagte sie erneut, »seit ein paar Tagen hat sie Besuch. So viel wie all die Jahre nicht. Zuerst die Tochter, dann die Enkelin.«
Sie lächelte ein bisschen. »Aber sie fügen sich gut ein.«
Stille herrschte auf dem Gang, eine seltsame Harmonie, eine Aura von … Franza spürte in die Luft, eine Aura von … Frieden …
Vielleicht, dachte sie, vielleicht würde es mir guttun, hier einmal ein paar Tage auszuspannen; nein, dachte sie, besser ein paar Tage Adriaküste; obwohl, dachte sie, das eine schließt das andere ja nicht aus; und dann hörte sie auf zu denken, denn sie standen vor der Tür, hinter der sich aller Voraussicht nach die restliche Auflösung des Falles finden würde.
Sie blickten auf, Lilli und die Frau Mitte vierzig, als die Tür sich öffnete. Auf zwei Stühlen saßen sie nebeneinander an einem Bett, in dem eine weitere Frau lag, klein, schmächtig unter der weißen Decke, graues Haar, ein Gesicht, das alt anmutete, alt geworden vor der Zeit, uralt, und als hätte es viel ertragen, viel erduldet, aber immer noch fanden sich Hannas klare Züge darin.
»Lilli«, sagte Franza und spürte eine große Erleichterung, »Frau Umlauf! Endlich! Endlich haben wir euch
Weitere Kostenlose Bücher