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Rache an Johnny Fry

Rache an Johnny Fry

Titel: Rache an Johnny Fry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Mosley
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mangelnde Erfahrung, meinen Wunsch, mich zurückzuhalten. Sie brauchte jemanden, der den Geist hinter ihrer zügellosen Sexualität sah. Ich brauchte jemanden, der meinen Schmerz erkannte und sich nicht gelangweilt abwandte.
    »Du warst bei ihm«, sagte der alte Mann am Nachbartisch zu der Frau. »Ich weiß, dass du mit Paul Medri nach Hampton Bays gefahren bist.«
    »Das ist fast sechzig Jahre her, Roger«, sagte sie. »Warum kannst du nicht davon aufhören?«
    »Du hast mich betrogen«, sagte Roger. »Du und er, ihr habt einen Narren aus mir gemacht.«
    »Wenn du ein Narr warst, dann schon, bevor wir gefahren sind. Im Übrigen dachte ich, dass du eine Affäre mit Cindy MacLeash hättest.«
    »Hatte ich aber nicht.«
    »Dachte ich aber.«
    »Ich hasse dich, Merle«, sagte Roger. »Ich hasse dich so sehr.«
    Warum konnte ich die beiden so gut verstehen, als sprächen sie in ein Mikrofon?
    Meine Sinne waren extrem geschärft. Oder es war eine Halluzination. Vielleicht waren Roger und Merle Ausgeburten meiner Fantasie. Vielleicht flüsterten sie miteinander, und ich legte ihnen Worte des Hasses in den Mund.
    Hasste ich Jo? Nein. Hasste ich Johnny Fry? Bis vor Kurzem ja, aber jetzt nicht mehr. Ihre Liebe, oder was immer es war, hatte nichts mit mir zu tun. Ich kam nicht zwischen sie. Ich verspürte keinerlei Wunsch, an seiner Stelle zu sein.
    »Bitte sehr«, sagte die Bedienung und stellte vier Teller mit Essen vor mich hin.
    Ich aß gierig, schlang alles mit solcher Hemmungslosigkeit in mich hinein, dass die übrigen Gäste erstaunte Blicke zu mir herüberwarfen. Ein kleines Mädchen starrte mich hingerissen an.
    War das wie mein kurzer Auftritt auf der kleinen Bühne im Wilding Klub? Sahen sie etwas Tierisches in mir? War das meine Sexualität, die sich auf andere Weise Ausdruck verschaffte?
    Ich trank den Orangensaft und anschließend das Wasser, zerbiss die Eiswürfel, als die Gläser ausgetrunken waren.
    Mein Herz hämmerte.
    Ein Mann hinter mir fragte eine Frau, ob sie ihn liebe, und seine Stimme klang wie meine, und auch Millionen und Abermillionen andere klangen wie meine.
    Die Bedienung kam an meinen Tisch und lächelte wollüstig (oder vielleicht lächelte auch ich so).
    »Wie heißt du?«, fragte ich das braunhäutige Mädchen, das zweifellos aus Südamerika stammte.
    »Tita«, sagte sie.
    »Du bist schön, Tita.«
    Sie lächelte und drehte den Kopf, ohne den Blick von mir abzuwenden.
    »Ich habe einen Freund«, sagte sie.
    »Trotzdem bist du schön«, antwortete ich. »Du bist der Grund, warum ich und so viele andere Männer in diesen Diner kommen. Es ist so schön, dich zu sehen, dich und dein Lächeln.«
    »Das ist lieb«, sagte sie. »Kann ich Ihnen noch etwas bringen?«
    »Noch eine Portion Pfannkuchen und ein Stück Speck.«
    »So viel?«
    »Wenn einem Mann die Liebe abhanden kommt, fängt er an zu essen, sagt man.«
    »Hat Sie Ihre Freundin verlassen?«, fragte sie.
    »Nein. Noch nicht. Aber die Liebe ist weg und wurde zu etwas anderem,… zu…. ich weiß es nicht.«
    Ich sah auf den Tisch, und als ich den Kopf wieder hob, war die Bedienung verschwunden. Das alte Paar stritt immer noch, aber ich konnte nicht länger verstehen – oder erfinden –, was sie sagten.
    Es war falsch gewesen, Joelle und Johnny Fry nicht ent gegenzutreten, aber nur dadurch hatte ich mein Selbst gefunden. Vor diesem Hintergrund überlegte ich erneut, ob ich Johnny Fry töten sollte. Vielleicht sollte ich ihn trotz allem erschießen, auch wenn ich nicht länger wütend war. Ihn auslöschen.
    Er hatte mir meine Geliebte genommen. Er besaß sie von Montag bis Freitag, während mir nur die Wochenenden blieben. Er bekam den Nektar, ich nicht mehr als ein paar Wassertropfen.
    Wenn ich ihn tötete, ihn erschoss, würde Joelle die Bedeutung meines Schmerzes erfahren. Sie würde glauben, ich sei der Mörder, wäre sich dessen aber nicht sicher. Es gäbe keinen Beweis, keine Waffe. Und selbst wenn man die Pistole fände und mich vor Gericht stellte – was machte das schon? Es wäre ein klares Statement. Mein Bruder würde geschockt sein, meine konfuse Mutter sich plötzlich wieder an meinen Namen erinnern, und Johnny Fry, während er sterbend dalag, würde bedauern, dass er sie in die Möse und den Arsch gefickt, auf sie gepisst und sie von einem anderen hatte vögeln lassen, dass er sie geschlagen und hatte leiden lassen – Joelle Petty mit ihrer gefährlichen Liebe.
    Vor mir standen die Pfannkuchen und der Speck. Ich hatte Tita

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