Rache an Johnny Fry
lächelte und sah mich an.
Ich atmete durch die Nase aus, ziemlich laut, wie mir schien, und alle möglichen Bedenken gingen mir durch den Kopf. Ich hatte Lucys Vater bei der Galerieeröffnung in No-Lita kennengelernt. Der kleine, weißhäutige Mann mit dem schütteren Haar war ein Jahr jünger als ich. Seine Tochter bat mich um Hilfe, und sie hatte einen Freund namens Billy, der in Boston lebte und für eine Theatergruppe arbeitete.
Und dann war da noch Joelle, meine Freundin – Himmel, wir waren so gut wie verheiratet. An den Wochenenden wohnte ich bei ihr. Wir waren seit acht Jahren zusammen. So lange – zusammengenommen – hatten nicht einmal meine beiden Ehen gehalten.
Zwischen Joelle und mir bestand das Einvernehmen, einander treu zu sein. Dazu brauchten wir nicht zu heiraten oder uns materiell aneinander zu binden. Joelle war freiberufliche Marketingexpertin für Mode- und Designfirmen und verdiente ziemlich gut. Ich übersetzte aus dem Französischen und Spanischen für kleine Unternehmen, oft aus der Technologiebranche, und für private Auftraggeber.
»Wir leben getrennte Leben, das aber zusammen«, erklärte Joelle ihrer jüngeren Schwester August, als die meine hehren Absichten infrage stellte.
»Er ist ein Mann, und Männer sind wie Hunde«, sagte August.
»›Ich kenne ihn besser als du‹, habe ich darauf geantwortet«, sagte Joelle. »Er ist ein guter Kerl und würde mir niemals wehtun.«
Während mir all dies durch den Kopf ging, blieb Lucys Hand auf meinem Arm liegen. Sie lächelte immer noch. Ich wollte mich die fehlenden zwanzig Zentimeter weiter vorbeugen und mit meinem hungrigen Mund ihre jungen Lippen berühren. Ich wollte es, tat es aber nicht.
Ich hatte meine Abmachung mit Jo bereits ignoriert, als ich ihr sagte, ich würde mittags nach Philadelphia fahren, obwohl mein Zug doch erst um fünf ging. Zwar hatte ich zunächst eine Reservierung für den Mittagszug gehabt, dann aber mein Reisebüro gebeten, auf erste Klasse umzubuchen, und das ging erst mit dem Fünfuhrzug. Als klar wurde, dass ich später fahren würde, hatte ich Joelle längst gesagt, dass ich den Mittagszug nähme. Und dann rief Lucy an, um mich an mein Versprechen zu erinnern, sie mit Brad bekannt zu machen. Dabei hatte ich ihr das nur angeboten, damit sie nicht gleich wieder ging. Dennoch fühlte ich mich verpflichtet – und es gab die Aussicht auf einen Abschiedskuss.
Ich zog meine Hand zurück, goss mir ein weiteres Glas Mineralwasser ein und leerte es mit einem gierigen Zug.
Die blauen Augen mir gegenüber funkelten, Lucys Schulter schob sich ein paar Zentimeter vor. Schade, sagte ihre Haltung. Vielleicht heim nächsten Mal.
Ich brachte sie hinaus und setzte sie in ein Taxi. Als sie gerade einsteigen wollte, versprach ich ihr, Brad anzurufen. Schnell küsste sie mich auf die Lippen und strahlte mich an.
So stand ich an der Ecke 80. und Amsterdam und sah dem Taxi nach, das sich in Richtung Westen durch den dichten Verkehr wand. Ich erinnere mich, wie ich dachte, dass ich zu Fuß mit dem Taxi Schritt halten könnte. Fast wäre ich ihr hinterhergelaufen und hätte ihr zugewinkt.
Als sie schließlich meinen Blicken entschwunden war, merkte ich, dass ich unbedingt zur Toilette musste. Kein Wunder bei all dem Mineralwasser, das ich getrunken hatte, während ich den Blick nicht von Lucys lila Bluse mit den zitronenfarbenen Knöpfen wenden konnte.
Ich hatte den Schlüssel zu Joelles Wohnung stets bei mir. Die Portiers kannten mich. Joelle selbst war bei einem Treffen mit einem Modejeans-Großhändler aus Newark auf der anderen Seite des Flusses. Ich würde hinauffahren, zur Toilette gehen und sie dann auf ihrem Handy anrufen und raten lassen, wo ich war. Es würde meine Schuldgefühle lindern, wenn ich sie wissen ließ, dass ich noch in der Stadt war.
Ihr Haus liegt an der Ecke 91. Straße und Central Park West. Robert, der Tagesportier, war nicht auf seinem Posten. Ich lief zur dritten Reihe Aufzüge und nahm die Nummer sechzehn hinauf in den dreiundzwanzigsten Stock.
Joelle hat die Wohnung von ihrer Großmutter geerbt, die vor zwölf Jahren gestorben ist. Joelle war damals gerade zwanzig. Die Wohnung ist riesig. Ein langer Flur führte in ein tiefer liegendes Wohnzimmer mit großen Fenstern, durch die man auf den Park hinaussieht. Ich war sehr gern in Joelles Wohnung.
Und ich war froh, dass ich bei Lucy nichts versucht hatte.
Sie waren so leise, dass ich fast zu ihnen hineinmarschiert wäre. Jo saß auf der
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