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Rache an Johnny Fry

Rache an Johnny Fry

Titel: Rache an Johnny Fry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Mosley
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Brille mit dicken Gläsern und hatte ungekämmte Haare. Der schlecht sitzende Anzug war das einzige Zugeständnis an so etwas wie Formalität. Außerhalb der Kunstszene hätte er wie ein verlotterter Bohemien gewirkt.
    »Ja, Isabel?«
    »Könnten Sie einen Moment den Ausstellungsraum im Auge behalten? Ich muss mit Mr Carmel etwas besprechen.«
    Er nickte mit dem Anflug eines Lächelns auf dem bärtigen Gesicht.
    Im hinteren Teil der Galerie befand sich eine rote Tür und dahinter eine schmale Treppe mit einem ebenso roten Teppich. Die neunzehn Stufen führten in ein kleines Büro mit einem runden elfenbeinfarbenen Tisch, einem mit rotem Samt bezogenen Zweiersofa und einem Hartholzstuhl. Überall standen Bilder und Leinwände, vor dem Fenster war ein Rollo heruntergezogen.
    Der Raum hatte etwas Heimeliges, das eher nach Cape Cod zu passen schien als nach Midtown Manhattan.
    Isabel trug ein enges graues Kleid, das ihr bis zu den Knöcheln reichte und ihre schlanke Figur betonte. Sie war eine attraktive Frau. Ihre sechzig Jahre hatten ihr längst nicht alle Schönheit geraubt.
    »Setzen Sie sich, Mr Carmel.«
    Als ich auf den Stuhl zuging, sagte sie: »Nein, aufs Sofa. Da haben Sie es gemütlicher.«
    Ich setzte mich dahin, wo sie mich wollte. Sie nahm eine Mappe von ihrem Tisch und gab sie mir.
    Während ich durch die Seiten blätterte, sah sie mich an.
    Ich musste daran denken, wie sich Celia auf mich gesetzt und Sisypha meinen Kopf in ihrem Schoß gehalten hatte.
    Die Dokumente in der Mappe entsprachen ziemlich genau den Standardverträgen, die Linda Chou mir gegeben hatte. Der Preis für die Fotografien war wie besprochen, und die Spende an die Lucy Carmichael-Stiftung sollte direkt vom Käufer des jeweiligen Fotos überwiesen werden.
    Ich las den Vertrag viermal und sah dann die Frau an, deren Augen immer noch auf mir ruhten. Ich nickte.
    »Sieht gut aus.«
    »Ich arbeite zielgerichtet«, sagte sie stolz. »Wenn ich etwas will, mache ich es.«
    »Kann ich die Verträge mitnehmen, um sie Lucy zu zeigen?«
    »Aber sicher.«
    Ich legte die Dokumente zurück in die Mappe und lächelte.
    »Sie haben ein schönes kleines Büro«, sagte ich.
    »Die Galerie hat meinem Onkel gehört«, sagte sie, und dann: »Darf ich Sie etwas fragen, Cordell?«
    »Was?«
    »Sie…«, sagte sie und machte eine Pause. »Sie sind kein politischer Mensch, oder?«
    In jedem anderen Augenblick meines Lebens hätte ich das Gefühl gehabt, dass man mich mit einer solchen Frage auf die Probe stellen wollte, um herauszufinden, was für ein Mensch ich war. Ich glaube, dass ich tatsächlich auf die Probe gestellt wurde, aber nicht von der Galeriebesitzerin, die da vor mir saß. In meiner Vorstellung war ich in das kleine Büro gebracht worden, um mir selbst ein paar Fragen zu beantworten und der Welt etwas zu beweisen – zu beweisen, dass ich für mich eintreten konnte.
    »Nein«, sagte ich. »Nicht im Geringsten.«
    »Und Sie sind auch nicht wirklich an Kunst interessiert?«, sagte sie, und das war mehr eine Feststellung als eine Frage.
    »Ich weiß es nicht. Ich glaube nicht, dass man als Mensch ohne Bezug zu irgendeiner Art von Kunst leben kann.«
    Das brachte ein Lächeln auf Isabels Züge.
    »Ich meine, Sie sind nicht wie Martin«, sagte sie. »Er war auf der Kunstakademie und hat über Roy Lichtenstein promoviert. Er lebt und atmet für etwas, das er für eine transzendente Schöpfung hält.«
    »Nein«, sagte ich. »Wobei es nicht daran liegt, dass ich nicht daran glaube. Der Grund ist: Diese Dinge sind mir einfach zu hoch.«
    Isabel Thinnes schlug ihr linkes Bein über ihr rechtes und schmiegte ihre eleganten Finger um ihr Knie. Sie atmete tief durch die Nase ein, die dabei sinnlich erbebte. Es schien fast so, als inhalierte sie mich.
    »Was hat Sie dann in die Kunstszene verschlagen?«, fragte sie.
    Ich schrieb die fünftausend Dollar ab, die ich Lucy Carmichael gegeben hatte. Das war es wert, mich einfach nur auf Isabels Frage zu konzentrieren. Es war nicht wichtig, ob ich die Ausstellung bekam. Wichtig war allein, dass diese Frau in mich hineinsah, meine Motive erforschte und mit dem, was sie vorfand, nichts anzufangen wusste. Deshalb fragte sie.
    »Ich… Ich war… Ich weiß es nicht. Vielleicht habe ich mich verlaufen, und Sie und Lucy sind Menschen, Orte, in die ich hineingestolpert bin.«
    Aus Isabels Lächeln wurde ein Grinsen.
    »Nicht, dass mir das alles nicht wichtig wäre«, fuhr ich fort. »Ich bin nur nicht sicher.«
    »Nicht

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