Rache auf leisen Pfoten
Sowie er auf dem Boden war, huschte er unter die Scheite. »Typisch Murphy. Das Genick hat sie dir nicht gebrochen, Kleiner. Sie hat dich mir zum Geschenk gemacht. Sie wollte wohl, dass ich dich verspeise.«
Als Harry zurückkam, sagte Chris naserümpfend: »Ich verstehe nicht, wie du den Maulwurf anfassen konntest. Das könnte ich nie. Dafür bin ich zu zimperlich.«
»Ach, wenn man auf dem Land aufwächst, denkt man nicht drüber nach. Man tut’s einfach.« Sie zeigte auf Chris’ Jahrbuch. »Lake Shore, Illinois, muss eine ganze Ecke vom Land entfernt sein.«
Chris lachte. »Allerdings.«
Susan, die in ihrem Jahrbuch blätterte, gluckste. »Ich bin schon ganz aufgeregt wegen diesem Schuljubiläum. Ehe wir’s uns versehen, ist es Oktober. Die Zeit verfliegt.«
»Sag das nicht. Es macht mich eh schon ganz nervös, die Chose organisiert zu kriegen«, brummte Harry.
»Vielleicht macht dich der Gedanke nervös, die vielen Leute wiederzusehen«, sagte Chris.
»Mich macht es genauso nervös, sie wiederzusehen, wie es sie nervös macht, mich wiederzusehen. Was werden sie denken? Sehe ich aus wie …« Susan hielt inne. »Also, sehe ich älter aus? Werden sie erschrecken, wenn sie mich sehen?«
»Du siehst fabelhaft aus«, sagte Harry, und sie meinte es ehrlich. »Außerdem lebt die Hälfte aus unserer Klasse immer noch in Rufweite. Alle wissen, wie du aussiehst.«
»Harry, wir sehen die Leute ja kaum, die nach Richmond gezogen sind – Leo Burkey zum Beispiel. Rufweite hin oder her.«
Harry stützte ihr Kinn auf die Hand. »Leo Burkey ist bestimmt wie immer, gut aussehend und hartgesotten.«
»He, den würde ich gern kennenlernen.« Chris, die Single war, lächelte.
»Hat er zur Zeit keine Frau?«, fragte Harry Susan.
»Das dürfte Boom Boom wissen.«
»Bestimmt.« Harry lachte. »Miranda, wir tun überhaupt nichts für Sie, aber ich bin froh, dass unsere Jubiläen zusammenfallen. Wir können mit dem Skateboard durch die Flure flitzen und uns gegenseitig besuchen.«
»Sie denken wohl, ich kann nicht Skateboard fahren«, sagte Miranda herausfordernd.
»Das habe ich nicht gesagt!«
»Aber gedacht.« Miranda zwinkerte. Wart’s nur ab, dachte sie lächelnd.
»Es ist ungerecht, dass sich alles um Murphy dreht«, jammerte Pewter und sprang auf die Küchenanrichte.
»Es dreht sich nicht alles um mich, aber ich hab einen frischen Maulwurf mitgebracht. Du bist bloß eifersüchtig.«
»Ich bin ungeliebt«, trällerte Pewter in den höchsten Tönen.
Harry stand auf und holte eine runde Plastikschüssel mit frischer Katzenminze aus dem Schrank. Sie rollte die Minze zwischen den Fingern, sodass das himmlische Aroma freigesetzt wurde. Dann legte sie die Stückchen auf den Fußboden, und Pewter stürzte sich darauf, dicht gefolgt von Murphy. Tucker bekam einen Hundeknochen, der sie glücklich machte.
Ein kurzes Glucksen von Pewter lenkte aller Augen auf sie. Von Katzenminze berauscht, lag sie rücklings auf dem Fichtenholzboden, ihr Schwanz wischte langsam hin und her. Mrs Murphy lag auf der Seite und hielt sich die Pfoten vor die Augen.
Miranda lachte. »Glückseligkeit.«
»Ich liebe die ganze Welt und alle, die auf ihr leben«, miaute Pewter.
Murphy nahm eine Pfote herunter – »Ich auch« –, dann hielt sie sich wieder die Augen zu.
»Das dürfte sie ruhigstellen.« Harry schenkte allen Anwesenden Eistee ein und setzte sich wieder hin. Mrs Hogendobber hatte selbst gebackene Butterplätzchen, Gurkensandwiches und frisches Gemüse mitgebracht.
»Wisst ihr, dass das Küren von Jahrgangsbesten heutzutage auf manchen Schulen als politisch nicht korrekt gilt?« Susan nahm sich ein Sandwich.
»Warum das denn?«, wunderte sich Miranda.
Susan wies auf den Sektor mit den Jahrgangsbesten, für jeden eine ganze Seite. »Zu elitär. Es kränkt die anderen.«
»Das Leben ist ungerecht.« Harry hob leicht die Stimme. »Das hätte man spätestens in der Highschool lernen können.«
»Da ist was dran.« Chris schüttelte ihren glatten blonden Pagenkopf. »Ich erinnere mich, dass ich heiße Tränen vergossen habe wegen etwas, das mir heute belanglos vorkommt, aber ich habe gelernt, dass es immer Enttäuschungen geben wird und ich da durch muss. All die Gefühlsaufwallungen, die einen beim ersten Mal durchströmen. Wie verwirrend.«
»Das ist immer noch so.« Harry trank ihren Tee. »Bei mir jedenfalls.«
»Sind noch alle aus eurer Klasse am Leben?«, fragte Chris Susan und Harry.
»Zwei haben wir verloren«,
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