Snobs: Roman (German Edition)
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Wie es eigentlich dazu kam, dass Edith Lavery Aufnahme in Isabel Eastons Bekanntenkreis fand, weiß ich nicht genau. Wahrscheinlich hatten die beiden Frauen eine gemeinsame Freundin oder saßen zusammen in einem karitativen Ausschuss, vielleicht gingen sie auch nur zum selben Friseur. Doch ich erinnere mich, dass Isabel schon sehr früh zur Ansicht kam, Edith sei ein Schmuckstück für ihre Sammlung, sozusagen eine Delikatesse, die den Nachbarn im ländlichen Sussex in wohl dosierten Häppchen vorzusetzen wäre. Die weiteren Ereignisse sollten Isabel natürlich Recht geben, auch wenn anfangs, als ich Edith kennen lernte, noch nichts zwingend für eine solche Entwicklung sprach. Edith war schon damals sehr hübsch, gewiss, aber noch nicht vergleichbar mit später, als sie, wie es in der Modewelt so schön heißt, ihren Stil gefunden hatte. Damals verkörperte sie nur einen gewissen Typ, wenn auch in Vollendung: die englische Blondine mit großen Augen und angenehmen Umgangsformen.
Ich selbst kannte Isabel Easton seit unserer Kindheit in Hampshire; uns verband jene angenehme, anspruchslose Art von Freundschaft, die ausschließlich auf langer Dauer beruht. Wir hatten wenig gemeinsam, kannten aber sonst kaum jemanden, der sich an uns als Neunjährige beim Ponyreiten erinnerte; so hatten unsere gelegentlichen Begegnungen immer etwas Behagliches. Nach dem Studium war ich ans Theater gegangen und Isabel hatte einen Börsenmakler geheiratet, mit dem sie nach Sussex gezogen war, daher gab es zwischen unseren Welten kaum Berührungspunkte. Doch es machte Isabel Vergnügen, ab und zu einen Schauspieler unter ihren Gästen zu haben, der im Fernsehen zu sehen war (selbst wenn mich noch nie einer ihrer
Freunde wiedererkannt hatte), und auch ich verbrachte gern gelegentlich ein Wochenende bei meiner alten Spielgefährtin.
Als Edith zum ersten Mal nach Sussex kam, war auch ich dort und kann deshalb Isabels Begeisterung für ihre neue Freundin bezeugen, eine Begeisterung, die später von engstirnigeren Bekannten angezweifelt wurde. Die jedoch durchaus echt war: »Edith hat eine große Zukunft vor sich. Sie hat das gewisse Etwas.« Isabel benutzte gerne Phrasen, mit denen sie sich den Anschein gab, Insider-Wissen über den Lauf der Welt zu besitzen. Ein anderer wäre vielleicht der Meinung gewesen, dass Edith, die eine halbe Stunde später aus dem Auto stieg, nicht viel mehr zu bieten hätte als ihre äußere Erscheinung und einen in seiner Lässigkeit berückenden Charme, doch ich schloss mich dem Urteil unserer Gastgeberin an. Rückblickend muss ich sagen, dass etwas an ihrem Mund auf das Kommende hindeutete – ein gestochen scharfer Mund mit Lippen, die in ihrem wie gemeißelten Schwung an die Filmdiven der Vierzigerjahre erinnerten. Und dann ihr Teint. Für einen Engländer ist ein Kompliment über den Teint der letzte Rettungsanker, wenn es nichts anderes gibt, das man lobend erwähnen könnte. So wird bei den weniger ansehnlichen Mitgliedern der königlichen Familie oft deren guter Teint hervorgehoben. Doch dies nur nebenbei – Edith Lavery hatte die herrlichste Haut, die ich je gesehen hatte: kühl, klar, pastellfarben, von makellos wächsernem Schimmer. Ich habe seit jeher eine Schwäche für gut aussehende Menschen, und im Nachhinein glaube ich, dass ich gleich im ersten Moment, als ich Ediths Gesicht bewunderte, zu ihrem Verbündeten wurde. Isabel jedenfalls sorgte selbst für die Erfüllung ihrer Prophezeiungen, denn sie war es, die Edith nach Broughton brachte.
Broughton Hall, die Broughtons überhaupt waren eine schwärende Wunde im Leben der Eastons. Die Broughtons herrschten erst als Barons, dann als Earls und seit 1879 als Marquesses von Uckfield schon länger über diesen Landstrich im östlichen Sussex als die meisten Aristokraten anderswo. Bis vor etwas mehr als hundert Jahren waren ihre Nachbarn und Untertanen vor allem einfache Bauern, die dem flachen, sumpfigen Land ein karges Leben abrangen, doch dann
strömte mit den Straßen und der Eisenbahn und der Erfindung der »Wochenenden auf dem Land« ein Großbürgertum in die Gegend, das sich auf die Suche nach Vornehmheit begab, und wie Byron wurden die Broughtons über Nacht berühmt. Ob man dazugehörte oder nicht, hing bald vor allem davon ab, ob man auf ihrer Gästeliste stand oder nicht. Der Gerechtigkeit halber muss ich sagen, dass die Familie diese Berühmtheit nicht gesucht hat, zumindest nicht am Anfang; ihre Macht wurde ihnen als den wichtigsten
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