Rachespiel
Praktischeres wollte. Die Ponyfransen waren länger und schräg geschnitten, und der Friseur hatte sie zu einigen aschblonden Strähnen überredet, um das Braun ein wenig aufzupeppen. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass es Dan auffallen würde. Achselzuckend setzte sie sich in den unbequemen Schalenstuhl, den er seinen Besuchern vorbehielt.
»Wie geht’s Jeanie?«, fragte sie.
Dan machte ein unbehagliches Gesicht. »Gut, danke.« Er hüstelte. »Hält mich auf Trab. Sie hat mich die ganze letzte Woche das Kinderzimmer streichen lassen. Nestbautrieb nennt man das wohl.«
Jo betrachtete eingehend ihre Schuhe. Sie hatte stets geglaubt, dass sie sich getrennt hatten, weil er nicht mit dem Schock einer zweiten Schwangerschaft, sechzehn Jahre nach ihrer ersten, fertiggeworden war. So, wie es sich an hörte, schien er sich aber über Jeanies zu freuen. Mit einem Kloß im Hals sagte sie: »Ich mache mir Sorgen um den vermissten Jungen von gestern Abend, Dan.«
Er stand schnaufend auf und ging zum Fenster, kehrte ihr den Rücken zu. »Weißt du, wo Oakley jetzt eigentlich sein sollte? Zu Hause im Bett; er hat nämlich Nachtschicht diese Woche. Stattdessen ist er dort draußen und sucht nach dem Kleinen. Wie ich ihn kenne, wird er wahrscheinlich jeden Moment mit dem Jungen im Arm hier reinmarschieren, weil Miss Superwichtig, Tara Sowieso, ihren Ex daran gehindert hat, seinen eigenen Sohn zu sehen.«
Jo schluckte. Tara hatte ihr nichts von einem Ex erzählt. Wenn Dan die Sache für nichts weiter als ein Tauziehen um ein gemeinsames Kind hielt, war es kein Wunder, dass er ihr einen so geringen Stellenwert beimaß.
»Gib mir nur vierundzwanzig Stunden für den Fall, das ist alles, worum ich dich bitte.«
»Weißt du noch, was passiert ist, als du das das letzte Mal gesagt hast? Du wolltest vierundzwanzig Stunden für den Bibel-Fall, nachdem ich entschieden hatte, ihn Sexton zu geben. Du hast meine Autorität untergraben.«
»Untergraben? Ich habe den Fall gelöst, oder?«
Er fuhr sich mit dem Finger unter den Hemdkragen. »Oh ja, das hast du, und dabei hast du dir neue Freunde ganz oben gemacht.«
»Was soll das heißen?«
»Das soll heißen, dass ich dem Rest des Teams erklären darf, warum sie sich zu viert einen Schreibtisch teilen müssen, während du dort in deinem eigenen Büro residierst. Du hast noch nicht einmal den Anstand besessen, mir vorher Bescheid zu sagen. Als ich heute Morgen hier reinkam, hatte ich gleich als Erstes eine Auseinandersetzung mit den Handwerkern, die das Zimmer ausgeräumt haben.«
»Du warst mit Jeanie im Urlaub, hast du das vergessen?«
»Und du hast den Minister dazu gebracht, das hinter meinem Rücken zu veranlassen?«
Er meinte Blaise Stanley, der vielleicht auf der DVD in ihrem Schreibtisch war oder auch nicht. Auf einmal war Jo froh, dass sie den Sexfilm Dan gegenüber nicht erwähnt hatte. »Nein! Stanley hat mich kontaktiert, um zu fragen, ob es mir helfen würde, mein eigenes Büro zu haben. Was hätte ich denn sagen sollen, hm? Ach, nein, warten Sie, bis ich das mit Dan besprochen habe?«
Dan seufzte. »Du hättest mich anrufen können«, sagte er schroff und kam herüber, baute sich neben ihrem Stuhl auf. »Und, was hast du Blaise Stanley dafür geben müssen?«, fragte er, auf sie herabblickend.
Jo holte tief Luft. »Nichts«, sagte sie. »Er ist ein verheirateter Mann.«
Dan kehrte ihr den Rücken zu, ließ sich schwer hinter seinen Schreibtisch fallen und nahm wieder das Telefon zur Hand. »Ich habe meine Entscheidung getroffen. Es ist Oakleys Fall.«
»Bitte, Dan, nur den einen Tag. Das Kind ist krank, Herr gott noch mal. Nur heute, mehr will ich nicht.«
Aber das Gespräch war beendet, Dan sah sie nicht mehr an. Mit geballten Fäusten stand Jo auf und ging zur Tür.
»Und du brauchst dir gar nicht erst die Mühe zu machen, deine Freunde bei den Medien zu bitten, Tara Sowieso noch heute in den Nachrichten zu bringen«, rief Dan ihr nach. »Das führt zu gar nichts bei unserer finanziellen Ausstattung. Der Präsident könnte erschossen werden, und wir müssten es bis morgen auf Eis legen.«
Jo drehte sich nicht zu einer Erwiderung um, weil sie ihm sonst an die Kehle gesprungen wäre. Sie hatte ein eigenes Büro bekommen, weil sie sich bei der Jagd auf einen kaltblütigen Mörder den Respekt des Justizministers verdient hatte. Auf keinen Fall würde sie sich von Dans Stolz daran hindern lassen, nach einem vermissten Kind zu suchen.
4
In einem Café gleich um
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