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Rachespiel

Rachespiel

Titel: Rachespiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Niamh O'Connor
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über den gesamten Kachelboden. Sogar sein Kanarienvogel bekam die Flatter und versuchte, sich in die höchste Ecke seines Käfigs zu retten. Wenn keine Wanze in der Zelle versteckt war, würde er herausfinden müssen, welche Ratte ihn verraten hatte. Diese Ratte würde sterben müssen, wie schon neun andere im Jahr zuvor, als der King seinen Zugriff auf den Drogenring Dublin Süd zu einem sicheren Würgegriff ausgebaut hatte.
    Er war vierundzwanzig Jahre alt und hatte seinen Spitznamen sowohl von seiner Gewohnheit, sich das Gesicht vor jedem Straßenmord mit Fäkalien einzureiben, als auch von seinem Blutdurst, der ihn vom Posten eines Straßenkleindealers auf den des Bosses einer Killerbande katapultiert hatte. Killer, die zu allem bereit waren, um ihren neu erlangten Status in der Unterwelt zu verteidigen. Der King würde nicht zulassen, dass sich irgendetwas in seinem Reich änderte, nur weil man ihn wegen einer Mordanklage in Untersuchungshaft genommen hatte. Bei jedem seiner Gerichtstermine hatte er den Song von Bob Dylan über Rubin »Hurricane« Carter gesungen, einen schwarzen Mit telgewichtsboxer, der in den Sechzigerjahren zu Unrecht wegen mehrfachen Mordes verurteilt worden war.
    Nicht dass der King unschuldig war. Er hatte den Mord, wegen dem man ihn hochgenommen hatte, schon begangen. Zwar war er zusammen mit Joey Lambert, dem Mann, dem er ein Messer ins Herz gestochen hatte, aufgewachsen und hatte ihn mal als guten Kumpel angesehen, doch das hatte ihn nicht davon abgehalten, Joey in einem McDonald’s im Einkaufszentrum von Stillorgan, inmitten voller entsetzter Besucher aus Süd-Dublin, zu erstechen. Und warum? Ihm war ein Gerücht zu Ohren gekommen, dass Joey ihn als Boss verdrängen wollte. Der King hatte darauf geachtet, das Messer noch kräftig herumzudrehen, als er es ihm hineingerammt hatte.
    Nein, er hatte nicht Bob Dylan gesungen, weil er unschuldig war. Er hatte den Song gesungen, weil die Gardaí nicht den Hauch eines Beweises gegen ihn hatten. All die Zeugen, die sich an dem Abend dort mit Fraß vollgestopft hatten, hatten nämlich einen kollektiven Gedächtnisausfall erlitten, und deshalb war es seiner Auffassung nach das Gleiche, als hätte man ihm den Mord angehängt. Er saß zu Unrecht im Gefängnis, genau wie Rubin.
    Der eigentliche Grund, weshalb man ihn eingebuchtet hatte, war das, was nach dem Mord passiert war – ein zwölf monatiger Straßenkrieg nach dem Motto Auge um Auge, Zahn um Zahn, weil seine ursprüngliche Gang sich aufgespalten hatte. Er selbst hatte mit einer abgesägten doppelläufigen Flinte das Feuer auf einen Pub eröffnet und dabei einen Türsteher und einen Gast getroffen.
    Deshalb hatte der Staat ihn weggesperrt, um die Fehde zu ersticken. Und deshalb war ihm auch diese spezielle Kokslieferung so extrem wichtig. Sie sollte die Botschaft da draußen verbreiten, dass er auch im Knast immer noch der King war. Es war nicht die Menge, die ihn wurmte – er hatte in der Vergangenheit schon zehnmal so viel bei einem einzigen Deal ins Land geschafft –, sondern das, was der Verlust über ihn aussagte: dass er seinen Laden nicht mehr im Griff hatte. Darum kam es auf diese Sendung mehr an als auf alle anderen.
    Als nichts mehr zum Zertrümmern, Zerreißen oder Zerfetzen übrig war, musste der King erkennen, dass tatsächlich keine Wanze in seiner Zelle existierte. Was bedeutete, dass ihn jemand verraten hatte. Jemand, der bald herausfinden würde, dass es Schlimmeres gab als den Tod. Einen schweren Tod.
    Eines seiner Telefone meldete sich mit dem Track von 50 Cent, »Many Men (Wish Death)«. Der King war drauf und dran, das Handy ebenfalls gegen die Wand zu schleudern, als er sah, wer da anrief.
    »Was?«, fragte er mit seinem starken Dubliner Akzent und nickte dann. Er ging in die Hocke, langte in das verschüttete Zeug aus dem Eimer und schmierte sich etwas davon auf Stirn und Backen.
    Ein Lächeln zog sich über sein Gesicht. Denn die Ratte war, wie sich herausstellte, kein Er, sondern eine Sie.

3
    Die junge Frau im Empfangsbereich war ganz offensichtlich sehr verzweifelt, nur hatte Foxy nicht erwähnt, dass sie auch sehr hübsch war. Jo seufzte und sah wieder auf die Uhr. Kein Wunder, dass er sich ihrer so angenommen hatte. Das Mädchen hatte perfekt geschnittene Gesichtszüge, auffallend grüne Augen und einen teuren Haarschnitt, den sie mit einer Gucci-Sonnenbrille aus der Stirn hielt. Sie war nicht älter als zwanzig und mit einem schwarzen Blazer,

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