Radio Heimat
sich deswegen mal mit einem Arbeitskollegen, einem strammen Parteigenossen, hier vorne vor Tor 5 deswegen geprügelt habe. Aber das war schon gegen Ende gewesen, als es schon fast egal war. Und die Arbeit sei ja auch nicht immer schön gewesen. »Is schon besser, wat da heute gemacht wird, in datt Dingen! Abba eins würd mich mal interessieren.«
»Ja?«
»Wie heizen die datt eigentlich da drin? Datt kann doch keiner bezahlen, odda?«
»Das bezahlen wir alle zusammen, Omma.«
Omma lächelt. Der Gedanke, dass die Jahrhunderthalle auch ein bisschen ihr gehört, gefällt ihr.
Nachrichten, Wetter, Verkehr
Im Land der Autobahnen
Die Kinder saßen beim Großvater und wollten wissen, wie er die Großmutter getroffen hatte.
»Es war einmal eine Zeit«, sprach der alte Mann zu den Kindern, »da gingen wir viele Tagesmärsche von Ost nach Nord, auch von Süden nach Westen, und nie berührte unsere Sohle einen Halm, nie senkte sich der Fuß in fette Muttererde, noch neckten hohe Gräser unsere Waden.«
Das wollten die Kinder nicht glauben. Sie blickten sich um und sahen all überall nur Grün, wohin sie auch schauten.
»Doch!«, entgegnete der alte Mann, der sehr starrköpfig war. »Aber wir gingen auch nicht auf unseren Füßen, wir saßen in blechernen Kisten mit Rädern und versuchten, von hier nach da zu fahren, doch meistens standen wir nur herum und lasen Zeitung in unseren blechernen Kisten, denn wir hatten viel Zeit im Land der Autobahnen.«
»War das«, fragten die Kinder, »in der Zeit vor der Großen Umwendung?«
»So ist es. Es war eine Zeit«, fuhr der Großvater fort, »da hatten wir mehr Autobahnen als gute Gedanken. Wir nannten sie A 2 oder A 3, auch A 42 und A 43 und A 44! Ja, wir hatten sogar eine A 52!« Ein Glanz trat dem Großvater ins Auge, den man nie zuvor gesehen hatte. »Doch die schönste und mächtigste von ihnen«, hub er an und kam ins Stocken, schluckte Tränen der Rührung herunter, »war stets die A 40. Sie war das asphaltene Band, das wie ein lebendiges Tier durch unsere Lebenswirklichkeit mäanderte. Sie verband die Menschen untereinander, wie es nur eine wirklich gute Autobahn vermag. Nachts, wenn der Verkehr ein wenig nachließ, gelangte man von einem Dorf zum nächsten in zwei oder drei Wimpernschlägen, ja, es war sogar kaum möglich zu sagen, wo das eine aufhörte und das andere begann.«
Die Kinder nickten. Davon hatten sie schon gehört. Vor der Großen Umwendung hatten die Dörfer miteinander geredet und Handel getrieben, Männer aus dem einen hatten Frauen aus dem anderen Dorf geheiratet. Heute wusste man nicht einmal mehr, wo die anderen Dörfer genau lagen. Man hörte immer wieder von Menschen, die in einem »Bockum« gewesen waren oder einem »Domund«, doch dort war man nicht freundlich zu ihnen gewesen.
»Wir alle hatten unsere rollenden Blechkisten«, sagte der Großvater, »und als die Autobahnen all unsere Fahrzeuge nicht mehr fassen konnten, benutzten wir sie trotzdem.«
»Aber«, fragte ein Mädchen, das schon etwas größer und schon öfter durch Vorwitzigkeit aufgefallen war, »gab es damals nicht auch Züge? Und etwas, das man Straßenbahnen nannte? Und Busse?«
»Ja!«, rief ein Junge. »In der Waldschule haben wir davon gehört. Die Lehrerin nannte es den
öffentlichen Personennahverkehr
!«
Der Großvater warf seinen Kopf zurück und brach in ein kehliges Lachen aus, das nicht aufhören wollte und bald in einen donnernden Husten überging.
»Einen?«, röchelte er. »Wir hatten zwei Dutzend öffentliche Personennahverkehre! Und der eine wusste nichts vom anderen! In den Zügen, wenn sie überhaupt kamen, stapelte man die Menschen bis unter die Decke! In der einen Stadt waren die Schienen breiter als in der anderen! Da stieg man aus der einen Bahn aus, fuhr dreihundert Meter mit dem Bus und stieg in eine andere wieder ein! Man nahm sich ausreichend Proviant mit, um unterwegs nicht zu verhungern. Manchmal wurden Menschen in den Bussen und Bahnen vergessen und erst nach Jahren gefunden, auf einer der Toiletten, die niemand benutzen wollte, weil... Na ja, es gab halt Gründe, warum man sich von denen fernhielt.«
»Aber hattet ihr denn Toiletten in den rollenden Blechkisten?«
»Anfangs nicht. Dann aber fingen die Ersten an, sich welche einzubauen, weil wir einfach so viel Zeit in diesen Kisten verbrachten. Und so habe ich auch die Großmutter kennengelernt!«
»Erzähl, Großvater! Erzähl es uns!«
»Ach«, seufzte der Großvater, »es war ein
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