Rächerin der Engel
Tante Cecilia hatte Antonia Bescheid gegeben, Antonia hatte den Finanzbeauftragten des Theaters angerufen und ihn dazu überreden können, ihr ein bescheidenes Budget zu bewilligen – und jetzt waren sie hier.
»Du weißt sehr gut, warum wir hier sind. Tante Cissy hat mir versprochen, mich vorzustellen, falls wir uns hier zufällig begegnen sollten. Wie kann ich mir denn eine solche Chance entgehen lassen? Aber eins will ich dir sagen! Wenn wir versuchen, ihr den Schreibtisch ihres toten Mannes vor der Nase wegzuschnappen, dann wird das keinen besonders günstigen Eindruck auf Tully machen.« Antonia zupfte nervös an ihrem Haar herum. »Mir ist ohnehin schleierhaft, warum du darauf bestanden hast mitzukommen.«
»Na, das ist ja reizend«, sagte Bree empört. »Das ist heute seit Wochen mein erster freier Sonntag. Ich bin doch nur hier, weil du mich geradezu angefleht hast mitzukommen.«
»Ich will aber nicht, dass Tully denkt, ich sei auf einen Job scharf.«
»Du bist aber auf einen Job scharf.«
»Halt jetzt bitte den Mund. Jemand könnte dich hören.«
Bree verdrehte die Augen. In diesem Moment hätte sie mit ihrem Hund Sascha am Savannah entlangjoggen oder bei Huey’s ein schönes Glas kühlen Weißwein trinken oder sogar endlich einmal alte Nummern der Law Review lesen können. Stattdessen war sie hier, zusammen mit einigen Hundert Schaulustigen, die alle darauf aus waren, die berüchtigte Tully O’Rourke zu Gesicht zu bekommen und vielleicht etwas aus dem Nachlass zu ergattern. Und zu allem Übel musste sie auch noch die Gesellschaft ihrer nervigen kleinen Schwester ertragen!
Schon seit Wochen kursierten in Savannah Gerüchte über Tully O’Rourke. Nach dem Schlagzeilen machenden Selbstmord ihres Mannes hatte die Witwe sowohl ihre Fassung wiedererlangt als auch einen ganzen Batzen Geld von der Versicherung eingestrichen. Das hartnäckigste – und für Antonia wichtigste – Gerücht besagte jedoch, dass sie beschlossen habe, die international bekannten Shakespeare Players in ihre Heimatstadt Savannah zurückzubringen. Doch zunächst einmal wollte sich Tully die Einrichtungsgegenstände aus ihren zahlreichen Villen wiederholen, die bei O’Rourkes Bankrotterklärung von der Bank beschlagnahmt worden waren.
»Und da du schon darauf bestanden hast mitzukommen, hättest du dich ruhig auch ein bisschen feiner anziehen können. Dein Sweater ist ja voller Hundehaare«, maulte Antonia. »Also ehrlich. Ausgerechnet heute musst du wie ein ungemachtes Bett aussehen.«
Bree versuchte vergeblich, Saschas feine goldgelbe Härchen von ihrem Sweater abzuwischen, und spielte mit dem Gedanken, ihrer Schwester mit dem Auktionskatalog eins auf den Kopf zu geben. Bevor sie zum Auktionshaus aufgebrochen waren, hatte sich Antonia drei Mal umgezogen. Dann hatte sie Bree mit der Frage, ob sie ihr dunkelrotes Haar zu einem Knoten schlingen oder offen tragen sollte, zur Verzweiflung getrieben. Anschließend hatte sie fünf Tassen Kaffee in sich hineingeschüttet und ihre Nerven zum Flattern gebracht. Alle drei Minuten holte sie ihren Spiegel aus der Handtasche, um ihr Make-up zu überprüfen. An diesem Punkt war es mit Brees Geduld endgültig vorbei gewesen. Ihre kleine Schwester war wunderschön, ganz gleich, wie sie ihr Haar trug oder was für ein T-Shirt sie anzog – und auch trotz des Bobbi-Brown-Lipgloss, das sie sich auf die Lippen geschmiert hatte. Selbst jemand wie Tully O’Rourke, die an den Umgang mit Prominenten und Berühmtheiten gewöhnt war, würde das sehen können. Und Bree hatte es allmählich wirklich satt, ihrer Schwester das wieder und wieder sagen zu müssen.
Dagegen war Antonias schauspielerisches Talent eine Sache, die auf einem völlig anderen Blatt stand. (Bree liebte ihre Schwester heiß und innig, musste aber zugeben, dass sie auf der Bühne nicht sonderlich begabt wirkte.) Doch wie sollte man Tully bei Tante Cissys sorgfältig geplanter, zufälliger Begegnung von Tonias Talent überzeugen? Sie konnte sich ja schlecht selbst anpreisen. Deshalb war Bree die Aufgabe zugefallen – sollte sich die große Mrs. O’Rourke tatsächlich nach Antonias Qualifikationen erkundigen –, ihre Schwester zu rühmen. »Sag einfach, du seist meine Rechtsanwältin«, hatte Antonia ihr eingeschärft, als sie aus dem Reihenhaus am Factor’s Walk zur Auktion aufgebrochen waren. »Was du ja auch sein würdest, wenn ich eine bräuchte. Und wenn du von den wunderbaren Kritiken sprichst, die ich bei Oklahoma bekommen
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