Rätsel des Nordens (Thenasia) (German Edition)
er in Erfahrung
gebracht, dass die Stelle tatsächlich so geeignet sei? Das Lager hatte er ja
kaum verlassen. Doch all jenes Nachdenken beunruhigte Regnir nicht im
Geringsten. Er vertraute Thormir seit Ewigkeiten. Er wusste, dass dieser alte
seltsame Kauz der einzige Mensch war, dem er auch durch die dunkelste Nacht
folgen würde. Er strich durch das Haar von Ingmir und blickte auf seinen Sohn.
Wenn ihr Tross tatsächlich zur Ruhe kommen würde, sesshaft werden würde, dann
würde er für seine kleine Familie ein Haus bauen. Keineswegs wäre es groß oder
schmuckhaft. Dafür reichten Regnirs Mittel nicht aus. Zwar gehörte er seit
seiner Geburt zu den Edelmännern, doch erlaubte das ewige Reisen das Anhäufen
größeren Reichtums nicht. Immer wieder verschwanden persönliche Dinge oder
wurden durch die Scharmützel mit den Orks zurückgelassen. Regnir war sich
sicher: Er würde Thormirs Plan unterstützen, sobald dieser ihn vorgetragen
hatte.
Die Sonne neigte sich aus ihrem
Zenit, als die ersten Edelmänner zur gemeinsamen Versammlung aufbrachen.
Thormir hatte ein schattiges Plätzchen auf einem Hügel außerhalb des Lagers
ausgewählt. „Hier soll sich nun das weitere Schicksal der Menschen
entscheiden“, murmelte er. „Hoffen wir, dass alles glatt abläuft.“
Unter vier großen Eichen wurde
ein purpurnes Rundzelt aufgestellt, in dem ohne Probleme fünfzig Personen Platz
fanden. Thormir hatte als Organisator bereits für die notwendige Verpflegung
gesorgt, da er lange Diskussionen über das Für und Wider erwartete. Zweifel an
seiner Durchsetzungskraft hatte er keine, auch wenn der immer in seiner Würde
gekränkte Gharmon mit Sicherheit Einspruch erheben würde. Sollte er nur! Wenn
es ihm zuwider war, ein normales Leben ohne Hast und Unruhe zu führen, dann
möge er weiterwandern, bis ihn die Orks zu Tode hetzten! Thormir spürte die Wut
in ihm aufkochen, denn er erinnerte sich in genau diesem Moment an vergangene
Tribunale. Gleich, wie gut ein Vorschlag war – Gharmon erhob Zweifel. Gleich,
wie gut die Argumente waren – Gharmon übte Kritik. Gleich, wie oft er nach
seinen eigenen Ideen gefragt wurde – Gharmon konnte nichts entgegnen. „Ein
Opportunist ist er, durch und durch. Mängel suchen, auch wenn sie noch so
nichtig sind, das kann diese einfältige Karikatur eines Edelmannes. Gharmon,
der Schwache – Gharmon, der Niederträchtige – Gharmon, der Narr. So viele gute
Männer haben wir in all den Jahren verloren. Dieser unfähige Mensch konnte sich
stets hinter den Speeren und Schilden unserer Soldaten verbergen!“ Zornig lief
der Edelmann durch sein Zelt und sprach mit sich selbst. Reiten konnte Gharmon
nicht, da er laut Thormir ein „widerwärtiger Fettwanst“ sei. Ein Schwert hatte
er nie geführt, sondern allenfalls zu besonderen Anlässen getragen, um bei
Umherstehenden Eindruck zu schinden. Auch konstruktive Ideen konnte man bei ihm
nicht finden. Kurzum: Gharmon verkörperte all die Eigenschaften, die Thormir
zutiefst verabscheute. Doch lange konnte er nicht länger in solchen Gedanken
verweilen. Schon bald sollte die Versammlung beginnen.
Tatsächlich sammelten sich seit
Längerem die Hohen der Menschen auf dem Platz vor dem Rundzelt und begannen zum
Teil intensiv miteinander zu diskutieren. Unterschiedliche Meinungen wurden
dabei kundgetan und Fraktionen begannen sich herauszubilden, als Regnir just in
diesem Moment den Hügel hinaufstieg. Lange hatte er bei seiner Familie gesessen
und Ingmir von dem Vorhaben erzählt, die ihm mit offenem Ohr und fröhlichem
Lächeln zuhörte. Nur schweren Herzens hatte er sie zurückgelassen, doch die
zuständigen Wachen hatten bereits mehrere Male zum Zusammenkommen gerufen. Regnir
trug eine weiße lange Robe über seiner Lederrüstung. Es war die traditionelle
Tracht, die jeder Edelmann zu Tribunalen anlegte. Inständig ließ er sich alle
Argumente für das Sesshaftwerden durch den Kopf gehen. Sein Hirn arbeitete,
während die pralle Nachmittagssonne auf seine Stirn schien. Thormir bemerkte
ihn als Erstes und begrüßte ihn sogleich:
„Regnir, schön dich
wiederzusehen!“
„Thormir, immer gut für
Überraschungen!“
Beide lachten sich einander zu
und begrüßten sich mit einem Handschlag, doch war es nicht zu übersehen, dass
Thormir schwere Geistesarbeit geleistet hatte. Regnir fuhr ohne weitere große
Worte mit dem heutigen Anliegen fort:
„Prinzipiell begrüße ich deinen
Plan und vertraue auch darauf, dass du alles geprüft hast. Bist du
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