Rage Zorn
sagen. Der Richter war sehr zufrieden mit dem Begleitartikel gewesen, in dem man sie dafür gelobt hatte, dass sie ihr Haus perfekt durchgestylt hatte.
Oben brannte kein Licht im Gang, aber zu ihrer Erleichterung sah sie unter Janeys Zimmertür einen hellen Streifen. Obwohl Sommerferien waren, hatte der Richter ihrer Siebzehnjährigen ein striktes Ausgehverbot auferlegt. Gestern Abend hatte sie dagegen verstoÃen und war erst in der Morgendämmerung heimgekommen. Es war nicht zu übersehen, dass sie getrunken hatte, und wenn sich Marian nicht ganz irrte, war der strenge Geruch in ihren Sachen der von Marihuana gewesen. Am schlimmsten war aber, dass sie sich in dieser Verfassung ans Steuer gesetzt hatte.
»Ich werde nicht noch einmal Kaution für dich stellen«, hatte der Richter sie angeschnauzt. »Wenn du noch einmal betrunken am Steuer erwischt wirst, bist du auf dich allein gestellt, junge Dame. Ich werde dann bestimmt keine Fäden mehr ziehen. Meinetwegen kann das ruhig in deinem Führungszeugnis stehen.«
Janey hatte mit einem gelangweilten »Scheià doch drauf« reagiert.
Die Auseinandersetzung war so laut und ausfallend geworden, dass Marian zuletzt befürchtet hatte, die Nachbarn könnten etwas davon mitbekommen, obwohl zwischen ihrem und dem nächsten Grundstück ein 4000 Quadratmeter groÃer manikürter Grünstreifen lag. Der Streit hatte damit geendet, dass Janey in ihr Zimmer gestürmt war, die Tür hinter sich zugeknallt und abgesperrt hatte. Seither hatte sie kein Wort mehr mit ihnen gesprochen.
Aber offenkundig hatte die jüngste Drohung des Richters Wirkung gezeigt. Janey war zu Hause, und für ihre Verhältnisse war es noch früh. Marian blieb vor Janeys Tür stehen und hatte
schon die Faust zum Anklopfen erhoben. Doch dann hörte sie hinter der Tür die Stimme der Radiomoderatorin, die ihre Tochter immer einschaltete, wenn sie »chillen« wollte. Die Frau war eine willkommene Abwechslung zu den krakeelenden DJs auf den anderen Sendern mit ihrer Acidrock- und Rapmusik.
Janey konnte sich leicht in einen Wutanfall steigern, wenn sie das Gefühl hatte, dass ihre Privatsphäre verletzt wurde. Ihre Mutter wollte den angespannten Frieden nicht stören, darum senkte sie die Hand wieder und ging weiter durch den Korridor dem ehelichen Schlafzimmer entgegen.
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Toni Armstrong schreckte aus dem Schlaf.
Sie blieb reglos liegen und lauschte nach einem Geräusch, das sie aus dem Schlaf gerissen haben könnte. Hatte eines ihrer Kinder nach ihr gerufen? Hatte Brad angefangen zu schnarchen?
Nein, bis auf ein leises Surren aus den Belüftungsschächten in der Zimmerdecke lag das Haus in tiefer Stille. Ein Geräusch hatte sie bestimmt nicht aus dem Schlaf gerissen. Nicht einmal das schwere Atmen ihres Mannes. Denn das Kissen neben ihrem war unberührt geblieben.
Toni stand auf und streifte einen leichten Morgenmantel über. Sie warf einen Blick auf die Uhr. Ein Uhr zweiundvierzig. Brad war immer noch nicht zu Hause.
Bevor sie nach unten ging, schaute sie kurz in die Kinderzimmer. Obwohl die Mädchen jeden Abend in ihre jeweiligen Betten gesteckt wurden, landeten sie nachts unweigerlich zusammen unter einer Decke. Weil sie nur sechzehn Monate auseinander waren, wurden sie oft für Zwillinge gehalten. Im Moment sahen sie praktisch identisch aus: Die stämmigen, kleinen Leiber lagen eng umschlungen und die zerzausten Köpfe dicht nebeneinander auf dem Kissen. Nachdem Toni die beiden zugedeckt hatte, blieb sie ein paar Sekunden lang stehen, und das Herz ging ihr angesichts dieser unschuldigen Schönheit auf, ehe sie auf Zehenspitzen aus dem Zimmer schlich.
Im Zimmer ihres Sohnes war der Boden mit Raumschiffen
und Actionfiguren übersät. Vorsichtig stieg sie darüber hinweg, um zu seinem Bett zu gelangen. Er schlief auf dem Bauch, mit gespreizten Beinen, einen Arm aus dem Bett gestreckt.
Sie nutzte die Gunst der Stunde und strich über seine Wange. Inzwischen war er in einem Alter, in dem er bei jeder drohenden Liebesbezeugung eine Grimasse schnitt und sofort die Flucht ergriff. Als Erstgeborener meinte er, sich wie ein Mann benehmen zu müssen.
Aber allein die Vorstellung, dass er zum Mann werden könnte, erfüllte sie mit einer Verzweiflung, die nach panischer Angst schmeckte.
Als sie die Treppe hinunterstieg, knarrten mehrere Stufen, aber Toni liebte die kleinen Macken und Mucken, die einem
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