Rage
Jessie! Ich musste zu ihr, koste es, was es wolle. Ich versuchte erneut, mich aufzurichten, doch ich schaffte es gerade, meinen Kopf ein paar Zentimeter zu heben, ehe er erneut zurückfiel, und ich erneut das Bewusstsein verlor.
Ich lag auf dem Boden. Der metallische Geschmack von Blut reizte meine empfindlichen Geschmacksknospen. Ich hörte ein schrilles Lachen. Ein Frauenlachen. Ich blinzelte und sah eine Gestalt in weißem Kittel vor meiner Zelle. Sie war verschwommen, doch ich erkannte die blonden Haare. Glatte, blonde Haare. Das schöne aber kalte Gesicht, welches ich jetzt nur unscharf erkennen konnte, dennoch, sie war es! Wie hatte ich sie vergessen können?
Ich schreckte aus dem Traum auf, und ein gequältes Keuchen kam über meine Lippen. All die Jahre hatte ich die falsche Frau gehasst. Es war nicht Jessie gewesen, die meinen Tod gewollt hatte, die sich an meinem Elend geweidet hatte. Es war meine Mutter! Die Frau, die mich ausgetragen hatte, der ich einen Großteil meiner DNA verdankte. Eine Frau, die mich nur geboren hatte, um mich in die Hände ihrer gewissenlosen Kollegen zu geben. Ich hatte sie nach meinem fünften Geburtstag nur noch wenige Male gesehen, doch sie war es. Gegen meinen Willen quollen Tränen aus meinen Augen, als ich mich an den Tag erinnerte, wo sie mich den kalten Händen ihres Kollegen übergeben hatte.
„Ich will nicht hier bleiben, Mama!“, flehte ich, und sah zu dem unerbittlichen Gesicht der Frau auf, die meine Mutter war.
„Du wirst jetzt ein guter Junge sein und hier bleiben AB943G3“, war ihre emotionslose Antwort. Sie war immer kühl gewesen, solange ich denken konnte, doch immerhin hatte ich ein kleines Zimmer mit einem richtigen Bett gehabt. Jetzt stand ich in einer gefliesten Zelle mit Eisenstäben und einer dünnen Matratze auf dem Boden vor der Wand. Es gab eine Nasszelle und eine Toilette. Das war alles.
„Bitte, Mamma“, flehte ich. „Ich tu alles, was du sagst. Ich werde ein guter Junge sein, und dir keinen Ärger machen, aber bitte nimm mich wieder mit!“
„Ich habe fünf Jahre meines Lebens damit verbracht, mich um deinen nutzlosen Arsch zu kümmern“, sagte sie kalt. „Du bist jetzt alt genug, um endlich zu etwas Nutze zu sein.“
Ich wollte mich an sie klammern, doch sie schlug mir hart ins Gesicht, dann packten mich zwei Männer in Uniform, und warfen mich auf die Matratze. Danach ließ man mich allein. Ich schämte mich der Tränen, die über meine Wangen quollen, doch ich fühlte mich so allein. So furchtbar verlassen. Und so hoffnungslos.
Wie damals schämte ich mich, dass ich weinte. Zum ersten Mal seit so vielen Jahren liefen mir die Tränen über die Wangen, und ich konnte nichts dagegen tun. Ich musste Jessie sehen. Ich musste sie um Verzeihung bitten. Wie konnte ich sie nur jemals mit dieser herzlosen Person verwechseln, die mich kaltblütig in die Hände von unmenschlichen Monstern hatte?
„Jessie“, flüsterte ich heiser. „Wo bist du?“
Kapitel Sieben
Jessie
Block C, West Colony, Eden
13 Januar 2033 / 09:14 p.m. Ortszeit
Man hatte mich gestern wieder freigelassen, doch ich konnte mich nicht auf meine Arbeit konzentrieren. Ich wusste, dass Rage noch lebte. Andreas war gestern endlich zu ihm gelassen worden, und er hatte Rages Kopfverletzung verarztet. Andreas versicherte mir, dass Rage über einen buchstäblichen Dickschädel verfügte, und wieder genesen würde. Doch Rage war rasend vor Wut und Sorge gewesen, trotz dass man ihn mit Drogen versucht hatte, ruhig zu stellen. Er hatte sich nur etwas beruhigt, als Andreas ihm versichert hatte, dass es mir gut ging. Mir war es nicht erlaubt, Rage zu sehen. Außer Rage hatte man noch Sturdy, Happy, Blue, Speed, Pain und Darkness inhaftiert. Die verbliebenen Alien Breed planten heimlich den Aufstand. Ich hoffte, dass wir erfolgreich sein würden. Gouverneur Whites hatte vor, die Inhaftierten nach Militärrecht zu verurteilen, was wahrscheinlich in einer Hinrichtung enden würde.
„Jessie! Jessie!“, erklang eine aufgeregte Stimme, dann wurde die Tür aufgerissen, und Snowflake platzte in mein Sprechzimmer.
„Was ist los? Schon wieder ein Notfall?“
„Der Präsident!“, rief die kleine Alien Breed Frau. „Gerade ist ein Shuttle gelandet. Hunter ist zurück, und mit ihm der Präsident und seine Tochter. Sie können uns vielleicht helfen. Der Präsident könnte dafür sorgen, dass die Männer freigesprochen werden, wenn wir alles erzählen, was vorgefallen ist!“
Ich
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