Rajin (Drachenfluch Erstes Buch) (DrachenErde - 6bändige Ausgabe) (German Edition)
unfreiwilligen wie ungastlichen Exil sicherlich beobachtet hatte, zumal der Schneemond derzeit besonders tief am Himmel hing, sodass mancherorts bereits die Befürchtung aufgekommen war, dass das Ende des Fünften Äons, da der Schneemond herabstürzen und die Geschichte der Welt beenden würde, bereits gekommen war.
Glednir Freistirn und Hjalgor Fünfzopf gehörten zu den Männern, die in jener Nacht als Wachen für den Seemammutkadaver eingeteilt worden waren. Die fünf Monde standen in einer Reihe am Himmel, und der Schneemond wirkte – wie schon seit einiger Zeit – besonders groß. Dazu war er von einer verwaschenen Aura umgeben, die ihn noch gewaltiger erscheinen ließ. Der Sternenseher sagte bei solchen Himmelszeichen für gewöhnlich einen baldigen Wetterwechsel voraus. Nur wenige Stunden ruhten die Arbeiten am Kadaver – und zwar in den Stunden, nachdem der rote Blutmond, der der Mondkette voranzog wie ein Anführer seiner Sippe, bereits den Zenit überschritten hatte und sich zum Horizont senkte, während der Augenmond auf seiner Bahn gerade seinen höchsten Punkt erreichte.
Der Gott des Augenmondes war Ogjyr, der den Schlaf, die Träume und den Tod sandte und für den die Zukunft ein offenes Buch war; dessen Seiten waren mit einer Variante der Runenschrift beschrieben, die nur er zu lesen vermochte. Die Stunden des Augenmondzenits gehörten allein ihm, und selbst wenn die Nacht durch den Schein von hundert Tranfackeln und dem Licht der Monde hell genug gewesen wäre, um weiterhin Brocken aus dem Kadaver herausschneiden und zu den Kesselhäusern tragen zu können, hätten sich kaum Männer gefunden, die bereit dazu gewesen wären, einen derartigen Frevel gegen Ogjyr zu begehen.
Denn mit Ogjyr war nicht zu spaßen.
Er erstickte Säuglinge, Wöchnerinnen und Alte im Schlaf, und den anderen sandte er quälende Albträume, sodass sie in ihren Betten keine Ruhe fanden. Wen Ogjyr besonders strafen wollte, dem sandte er im Traum das Wissen über Ort und Umstände des eigenen Todes, sodass das Leben bis dahin vollkommen von der Ahnung des kommenden Endes erfüllt war und zu einem Vorspiel des Todes wurde.
Die Verse der Legendsänger berichteten davon, dass der Hang zur Gemeinheit, der Ogjyrs Charakter bestimmte, darin begründet sei, dass ihn die Menschen des Seereichs in früherer Zeit beleidigt hatten. Zwar war Ogjyr der Gott des Todes, aber niemand wollte nach seinem Ende die Ewigkeit bei ihm auf dem Augenmond verbringen. Stattdessen zogen es die Seemannen vor, in Njordirs feuchtes Reich einzugehen. Dies war noch immer so und der Grund dafür, dass Ogjyr darauf angewiesen war, die Lebenden zu quälen, da ja die Toten unter den Schutz des Meeresgottes flohen.
Es schien, als hätten sich die Wassermenschen die Stunden Ogjyrs mit Bedacht für ihren Angriff gewählt. Der sonst so stetig über das Meer wehende Wind ließ mit einem Mal nach. Schon das ließ Glednir und Hjalgor aufmerken.
„Sieh nur, wie flach das Wasser plötzlich ist“, sagte Glednir Freistirn und deutete hinaus auf die Brandung. Dass der Wind und der Wellengang gleichzeitig nachließen, war ungewöhnlich. Normalerweise geschah das mit einiger Verzögerung, denn es brauchte Tage, bis sich das durch den Wind aufgepeitschte Meer wieder beruhigt hatte, selbst wenn Njordir seinen Windatem ganz plötzlich anhielt.
Die Gruppe der Wächter hatte in Ufernähe gekauert. Glednir erhob sich, und Hjalgor Fünfzopf folgte seinem Beispiel und stellte sich neben ihn. Beide Männer betrachteten aufmerksam die Wasseroberfläche, die fast spiegelglatt geworden war.
Alle fünf Monde spiegelten sich im Wasser und erzeugten auf der Oberfläche verwaschene Lichterscheinungen in ihren jeweiligen Farben.
Glednir wollte schon aufatmen, doch dann verblasste das Licht des Schneemondes, bis sein Spiegelbild auf der Meeresoberfläche nicht mehr auszumachen war. Auch am Himmel selbst war er kaum noch zu erkennen; da schimmerte noch die milchige Aura, die ihn umgab, doch es war, als hätte er sich hinter dichten Wolken verkrochen, die aber die anderen Monde nicht berührten.
„Whytnyr!“, stieß Glednir hervor und ballte die Hände zu Fäusten. „Der Verrätergott versucht sich zu verbergen! Siehst du es auch, Hjalgor?“
Die anderen zur Wache eingeteilten Männer standen inzwischen bei ihnen und sahen, was Glednir meinte.
„Das kann nur eins bedeuten“, sagte Hjalgor. „Die Brut des Verrätergottes ist bereits in der Nähe!“
Der Mann mit den fünf
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