Rajin (Drachenfluch Erstes Buch) (DrachenErde - 6bändige Ausgabe) (German Edition)
Vergangenheit im Kapitänsrat darüber debattiert worden, ob es für eine letztlich doch verhältnismäßig kleine Siedlung wie Winterborg nicht ein allzu großer Luxus war, sich gleich ein Dutzend Legendensänger in Lohn und Brot zu halten. Immerhin kostete es ja einen nicht unerheblichen Betrag in Bruchsilber, diese Zahl von Sängern im kalten Winterborg zu halten – Silber, das mit dem Handel von Stockseemammut erst mühsam erwirtschaftet werden musste. Aber letztlich hatte sich immer jene Gruppe im Kapitänsrat durchgesetzt, die der Auffassung war, eine mangelnde Abwechslung bei den Legendenliedern würde zu Unzufriedenheit und Streitlust während des langen Winters führen, was nun wirklich nicht im Interesse der Kapitäne war.
Nun war man allgemein froh darüber, Sänger in ausreichender Zahl zur Verfügung zu haben, um alle Opfer des Drachenangriffs in einem würdigen Rahmen bestatten zu können.
Nach einem Gebet zu Njordir, aufgesagt vom jeweiligen Sippenoberhaupt, und einem Trauerlied, vorgetragen von einem Legendensänger zum gefühlvollen Lautenspiel, wurde der Tote feierlich in die See versenkt.
Viel Zeit wurde dem Totengedenken nicht gewidmet. Die Umstände ließen das nicht zu. Schließlich musste der Kadaver des angelandeten Seemammuts weiter zerlegt werden, damit das Fleisch nicht verdarb. Mindestens eine Woche würde das dauern. Und je schneller es geschah, desto besser, denn es bestand noch immer die Gefahr eines Angriffs von Wassermenschen, wenn sie der verräterische Gott des Schneemondes zum Kadaver führte. Mochten die mit Fjendurs Zauber versehenen Äxte und Schwerter auch einen einigermaßen wirksamen Schutz gegen diese unerbittlichen und schwer zu tötenden Gegner darstellen – der beste Schutz gegen einen Überfall von Wassermenschen war noch immer das Nichtvorhandensein einer Beute. Sobald das Blut aus dem Fleisch der Meeresriesen herausgekocht war, hatten die Wassermenschen nämlich keinerlei Interesse mehr am Kadaver des Seemammuts. So brannten die Feuer in den Kesselhäusern nahezu ununterbrochen.
Allerdings kündeten die schwarzen Rauchsäulen auch weithin von dem großen Fang, den die Männer von Winterborg gemacht hatten, und wenn der auf den Schneemond verbannte Verrätergott Whytnyr nicht ohnehin schon bemerkt hatte, was sich in der Bucht abspielte, so konnte er es nun wohl kaum noch übersehen. Nun musste man spätestens damit rechnen, dass Whytnyr seine Verbündeten in der Tiefe des Meeres darauf aufmerksam machte, dass am Strand von Winterborg Beute auf sie wartete.
In den nächsten Tagen wurde bis zur fast völligen Verausgabung gearbeitet. Abends saß man schweigend und ermattet an den Feuern in den Langhäusern, aß etwas und gönnte sich anschließend ein paar Stunden Schlaf. Rajin war dann meist so erschöpft, dass ihm der Weise Liisho nicht in seinen Träumen erschien, und so quälte er ihn auch nicht mit Vorhaltungen und salbungsvollen Ratschlägen.
Dass sich Liisho allerdings auch tagsüber nicht mehr an ihn wandte, machte Rajin dann doch Sorgen. War der Weise etwa beleidigt, weil Rajin entgegen seiner Ermahnung die Leben vieler Winterborger gerettet hatte, die ohne sein Einschreiten mit Sicherheit dem Wüten des roten Drachen zum Opfer gefallen wären?
Auch wenn er damit dem eindringlichen Rat des Weisen Liisho zuwidergehandelt hatte, so bereute Rajin dies nicht. Denn er war überzeugt davon, das Richtige getan zu haben.
An einem Abend nahm Bratlor Sternenseher ihn zur Seite und führte ihn in eine Ecke von Wulfgar Wulfgarssohns Langhaus. Das Herdfeuer prasselte, und der Geruch einer kräftigen Suppe aus Seemammutsud weckte ihren Appetit.
Bratlor sprach in gedämpftem Tonfall, als er hervorbrachte: „Du solltest gehen, Bjonn Dunkelhaar.“
„Gehen?“, echote Rajin und sah den Sternenseher fragend an. „Wie meinst du das?“ In Wahrheit wusste er es genau. Zumindest ahnte er es, und wenn er ehrlich sich selbst gegenüber war, dann musste er eingestehen, sogar selbst schon darüber nachgedacht zu haben.
„Du solltest Winterborg so schnell wie möglich verlassen, um kein weiteres Unglück auf deine Stadt und deine Sippe heraufzubeschwören“, stellte Bratlor klar. „Sag nicht, dass du nicht schon selbst erkannt hättest, dass dies die einzige Möglichkeit ist, um weiteres Unglück von den Deinen abzuwenden.“
Bratlor machte eine Pause. Der weiche Schein der Tranfackeln, die das Innere des Langhauses in ihr flackerndes Licht tauchten, fiel in das
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