Rashen - Einmal Hölle und zurück: Roman (Neobooks) (German Edition)
habt doch eh kaum Gefühle … Und jetzt spring endlich!«
Von unten werden Gegenstände gegen die Luke geschlagen, das Holz wackelt gefährlich. Claire wirft einen hastigen Blick hinter sich und bedeutet mir, endlich zu verschwinden.
Behutsam erklimme ich das Fensterbrett und halte mich am Rahmen fest, während ich mich zu dem Rotschopf umdrehe. Unsere Blicke verhaken sich für den Bruchteil einer Sekunde ineinander, ich registriere, wie Claires Brustkorb sich heftig hebt und senkt. Ein erneuter Schlag gegen die Luke, die verdächtig zu zittern beginnt, zerstört den Augenblick. Ich schenke ihr mein zynisches Lächeln.
»Baby, vergiss das Buch nicht«, sage ich noch, dann lasse ich mich fallen.
Wer hätte gedacht, dass mein Tag so anfängt?
Kapitel 2
Plaudereien mit Claire sind genauso sinnvoll wie Gespräche mit einer Wand. Hatte ich das erwähnt?
I ch sehe ihren Rotschopf im Fensterrahmen auftauchen, als ich mich auf dem kleinen Schuppen abrolle und den eisigen Schnee auf meiner aufgewärmten, menschlichen Haut spüre. Der Himmel ist bedeckt, graues Licht haucht dem Hinterhof, der einer Müllhalde gleicht, eine spröde Atmosphäre ein. Keine Blätter an den zwei Bäumen, die neben dem Schuppen auf dem winzigen Hof stehen. Autolärm von einer befahrenen Straße, nicht weit von hier. In der Ferne erkenne ich Wolkenkratzer. Irgendwo daneben erspähe ich den Turm, in dem Big Ben pünktlich zur vollen Stunde läutet. Könnte sich tatsächlich um London handeln, sehr schön.
Eine schwarzgefleckte Katze räkelt sich auf einer der Mülltonnen. Als sie mich bemerkt, starrt sie mich an und stößt anschließend ein tiefes, wütendes Fauchen aus. Schlau, diese Biester. Sie erkennen immerhin, wenn etwas nicht stimmt. Wenn sie jemandem nicht trauen können.
»Rashen!«, ruft Claire von oben und wirft im selben Moment das Buch aus dem Fenster. Ich fange es auf. Dann sehe ich ihre Turnschuhe auftauchen, die zerrissenen Jeans, sie stützt sich am Fensterrahmen ab und schaut zu mir herunter. Ich nicke. Soll sie doch springen, ich fange sie nicht auf. Gut, das wäre herzlos. Aber ich bin eben doch nur ein Dämon.
Claires Miene ist verbissen, sie hebt einen Arm, und dann sehe ich das Medaillon, das in ihrer Hand hin- und herbaumelt. Ich malme meine Kiefer aufeinander und ziehe die Brauen zusammen. Was will sie damit tun?
»Ich schlucke es runter, wenn du mir nicht versprichst, mich aufzufangen!«
»Na und? Dann bekommt es nach dir niemand, wenn du tot bist. Gut für mich«, erwidere ich gleichgültig. Was denkt sie, dass mich diese Tatsache davon abhält, das Medaillon mitzunehmen? Sie weiß wahrscheinlich gar nicht, was meine Anwesenheit alles bewirken kann: zweiundzwanzig Tage, ohne dem Tod ins Auge blicken zu müssen – zumindest dem Dämon, der eigentlich eine Liste abarbeitet – ein Rundum-Dämonen-Sterbe-Sorglos-Paket sozusagen. Das Schöne an der Arbeit als Dämon ist, dass er sich kaum von anderen Jobs der Menschen unterscheidet: Wir haben genauso unsere Aufgabenfelder und Hierarchien, wie diese Welt sie hat. Bis auf einen kleinen, aber feinen Unterschied: Unsere Aufträge hier bestehen aus Mord, sexueller Verführung und Ähnlichem. Und wir erhalten unsere Aufträge von einem der sieben Fürsten.
Claire sieht mich durchdringend an. Meine Anwesenheit bringt selbstverständlich auch die Chance auf sieben Wünsche. Aber für die muss sie zunächst ein paar Geheimnisse opfern. Wunschdämon ist eben doch nur ein Dämon und keine dämliche Fee. Die es übrigens nicht gibt. Aber das ist eine andere Geschichte.
»Du verflüchtigst dich wieder, dann ist es in meinem Bauch, und du wirst für immer in der Sphäre schweben«, ruft Claire.
Das Mädchen hat seine Hausaufgaben gemacht. Ich mime den Überlegenen, soll sie da oben ruhig noch ein bisschen schwitzen.
»Dann warte ich, bis man dich verscharrt und deine Knochen irgendwann verwesen. Ein Archäologe wird dich in tausend Jahren ausgraben und das Medaillon besitzen. Bis dahin habe ich alle Zeit der Welt.«
Ich lächle – unschuldig. In ihren Augen blitzt es wütend auf. Sie mag es wohl nicht, wenn sie nicht ihren Willen bekommt. Sagt man das nicht über Rothaarige? Dass sie besonders stressig – pardon, temperamentvoll sind? Natürlich muss ich an genau diese Sorte von Menschenmädchen geraten. Aber in England ist die Inzuchtrate gewissermaßen besonders hoch, Insel bleibt eben Insel.
Aus den Augenwinkeln erkenne ich Claire, die aus dem Fenster springt. Sie
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