Rasterfrau: Knobels achter Fall (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)
Hand auf den Tisch.
Ein Justizvollzugsbeamter schaute missbilligend herüber und mahnte zur Ruhe.
»Wie reden Sie denn, Herr Knobel?«, ereiferte sich Wendel leiser. »Erinnern Sie sich denn überhaupt noch an das von Ihnen so genannte Fällchen? – Sind Sie zu stolz geworden? Zu bequem? Sind Sie ein zweiter Löffke, dem die fettige Suppe aus dem Maul läuft? – Sie können sich das gar nicht leisten, Herr Knobel! Ich habe ein Gespür für solche Dinge.«
»Sie und ich wissen, worum es damals ging, Herr Wendel«, entgegnete Stephan gelassen.
Doch Wendel entließ ihn nicht.
»Nein! – Schildern Sie meinen damaligen Fall!«, forderte er in einem Ton, in dem er früher seine Schüler angehalten haben mochte, seine Fragen zu beantworten. »Ich möchte wissen, ob Sie noch einen Riecher für die Gerechtigkeit haben.«
»Sie haben sich einer Schülerin zu sehr genähert«, antwortete Stephan. »Was soll das, Herr Wendel? Sie wissen doch, wovon wir hier reden.«
»Ich will Sie an das erinnern, was Sie für mich getan haben, Herr Knobel, und ich wünsche mir aus tiefstem Herzen, dass in Ihnen wieder der unbedingte Wille geweckt wird, sich der Gerechtigkeit verpflichtet zu fühlen, der Sie damals zum Sieg verholfen haben«, beharrte Wendel und merkte sofort, dass er mit seinen pathetischen Worten bei Stephan auf Widerstand traf.
»Bitte!«, sagte er weicher, »es ist mir wichtig!«
»Sie waren Lehrer für Chemie und Sport am Nordstadt-Gymnasium«, rekapitulierte Stephan. »Natürlich erinnere ich mich noch an die Details. Nach einer Chemiestunde in der Oberstufe wandte sich eine Schülerin an Sie. Ich glaube, sie war damals 17 Jahre alt. Die Schülerin forderte Sie auf, die von Ihnen vergebene Note des von ihr absolvierten Chemietests zu überprüfen. Sie hatte die Note ›mangelhaft‹ bekommen. Sie sagten, dass Sie die Note und den ganzen Test mit ihr in einem nahegelegenen Café besprechen wollten, das Sie dann am selben Tage nach Schulschluss mit der Schülerin aufgesucht hatten. Im Café saßen Sie mit der Schülerin an einem Ecktisch. Bei dem Gespräch, in dem es nach Angaben der Schülerin nur am Anfang um den Chemietest, dann jedoch um bestimmte sexuelle Vorlieben gegangen sein soll, hätten Sie der Schülerin an die Oberschenkel gefasst. Bei der späteren Überprüfung stellte sich heraus, dass der Test in der Tat von Ihnen bei dieser Schülerin zu schlecht benotet worden sei. Er hätte mit ›ausreichend‹, nach einer weiteren Meinung sogar mit noch ›befriedigend‹ bewertet werden müssen. Da Sie der Schülerin, eine für ihr Alter sehr reife und aufreizend gekleidete junge Frau, im Unterricht nach übereinstimmender Bekundung anderer Schülerinnen und Schüler häufig Blicke zuwarfen, wurde vermutet, dass Sie dieser Schülerin absichtlich eine schlechte Note erteilt hatten, um über ihren zu erwartenden Protest gegen die Note die Nähe zu ihr zu suchen. Es kam hinzu, dass Sie in der Vergangenheit auch anderen Schülerinnen in auffallender Weise nachgeschaut haben sollen. Die Disziplinarstelle bei der Bezirksregierung Arnsberg erteilte Ihnen daraufhin einen Verweis wegen Verstoßes gegen die Wohlverhaltenspflicht, weil Sie es an der gebotenen Distanz zu Schülerinnen vermissen ließen. Der Griff an die Oberschenkel der Schülerin konnte nicht bewiesen werden, sodass sexueller Missbrauch nicht im Raum stand.«
»Soweit der nüchterne Sachbericht des Juristen«, schnaufte Wendel. »Jetzt werden Sie mal ein wenig leidenschaftlicher!«
»Es gibt keinen Grund zur Leidenschaft«, gab Stephan kühl zurück. »Ich habe gegen die Verfügung der Bezirksregierung Klage erhoben. Wir haben beweisen können, dass die gegen Sie gerichteten Aussagen der Mitschülerinnen und Mitschüler auf einer Absprache beruhten, die das Ziel hatte, sich Ihrer als Chemielehrer zu entledigen. Sie galten als fachlich schwacher Lehrer. Aber es stand fest, dass Sie für diese – wie auch für andere, meist blonde, große Mädchen – eine Vorliebe hegten, sich dieser konkreten Schülerin jedoch nicht in vorwerfbarer Weise näherten. Dass Sie mit ihr zu einem Gespräch in das Café gegangen sind, war ungeschickt, doch wir konnten Gäste des Cafés ausfindig machen, die am Nachbartisch saßen und bekunden konnten, dass es während des ganzen Gesprächs nicht ein einziges Mal um Privates ging. Sie saßen nicht einmal nebeneinander oder über Eck, sondern einander gegenüber, sodass Sie der Schülerin auch nicht an den Oberschenkel
Weitere Kostenlose Bücher