Raub der Zauberkristalle
zusätzliche Wache. Mythor dachte mit leichtem Schaudern an die Macht, die sich ihm während seiner Versuche mit den Kristallen offenbart hatte. Mehr denn je galt es dafür Sorge zu tragen, daß sie nicht in falsche Hände fielen.
Plötzlich schrie Gerrek etwas. Er war zu einem der beiden Augenfenster gegangen und winkte aufgeregt.
Mythor und Sadagar waren zugleich bei ihm.
»Was hast du, Beuteldrache?« stichelte der Steinmann. »Berauscht dich der goldene Glanz?«
Gerrek konnte noch nicht einmal seiner Empörung Luft machen. Sadagar pfiff durch die Zähne, und auch Mythor sah die Gestalt, die im funkelnden Schimmer trieb und dabei mit den Armen ruderte wie ein Ertrinkender.
Tertish, die Totenbleiche, stand am anderen Fenster.
»Am besten beachten wir ihn nicht!« rief sie herüber. »Wir sollten froh sein, Carlumen vom Auswurf des Bösen gereinigt zu haben!«
»Wir nehmen ihn auf«, widersprach Mythor. »Wir wären nicht besser als das Schattengesindel, würden wir einem Hilflosen die Rettung verwehren.«
Tertish lachte rauh. Ihre Hände legten sich um die Griffe ihrer beiden Schwerter.
»Eines Tages wirst du sehen, was dir dein Edelmut einbringt, Mythor! Hast du Boozams Warnung schon wieder vergessen? Er sagte, daß wir uns hüten sollten vor allem, was unseren Weg kreuzt. Und schau hin! Er fährt mit seiner Boje an dem Fremden vorbei.«
»Er ist ja auch nicht wir!« fuhr Gerrek sie an. »Oder hast du Angst? Ich jedenfalls fühle mich wieder stark genug, um es mit allem und jedem aufzunehmen.«
»Großmaul!«
»Mannweib!«
»Hört auf zu streiten«, sagte Sadagar. »Der Fremde hat uns gesehen. Er winkt. Wenn wir ihn noch auffischen wollen, müssen wir uns beeilen.«
Und so geschah es.
Die großen und schlanken Hände mit den ungemein langen Fingern umklammerten noch das Seil, mit dem der Fremde an Bord gezogen worden war. Mythor, Sadagar, Gerrek und einige Rohnen standen im Kreis um ihn herum, nicht weit entfernt vom wieder sprießenden Trieb des Lebensbaums. Es schien, als ballte sich der goldene Staub um den Sproß herum besonders dicht zusammen, wie um ihn in einen glitzernden Schein zu hüllen.
Der Fremde lag reglos am Boden. Er lebte, hatte offenbar aber so viel an Kraft verloren, daß er noch kein Glied rührte. Doch die stark hervorquellenden Augen waren weit offen und starrten die Carlumer an.
Sie gehörten zu einem Gesicht, das von rostrotem Haar umrahmt war, bis in den Nacken fallend. Die Haut war fast bernsteingelb. Unter den Augen saß eine scharfrückige Nase, darunter ein lippenloser Mund. Um Stirn und Hinterhaupt zog sich ein golden schimmernder Reif, der mit roten Edelsteinen besetzt war. Ebenfalls solche Kristalle waren eingearbeitet in die verzierten Griffe zweier Dolche, die in einem Gürtel unter dem perlenbesetzten gelben Mantel zu sehen waren. An ihren Knäufen funkelten zwei große Rubine.
Die ganze Gestalt war nicht mehr als sechs Fuß groß, dürr, mit hervorstehenden Gelenken.
»Er ist harmlos«, stellte Gerrek fest. »Ich sehe so etwas sofort. Oder sieht so ein Diener der Finsternis aus?«
Der Beuteldrache blickte sich beifallheischend um und verzog das spitze Maul, als ihm nur Ablehnung entgegenschlug.
»Ich meine ja nur!« brummte er. »Und seine Meinung darf man wohl auch noch sagen!«
Sadagar brachte ihn mit einer herrischen Handbewegung zum Schweigen.
»Er bewegt sich«, sagte der Steinmann. Er bückte sich zu dem Fremden hinab und zog den Mantel noch etwas mehr auseinander. »Er hat Wundmale, und hier ist verkrustetes Blut. Jemand muß ihm übel mitgespielt haben.«
Der Fremde stöhnte. Sadagar half ihm, sich halbwegs aufzurichten.
»Habt ihr… Wasser?«
Die Stimme war kaum mehr als ein Fisteln, gebrochen, schwach. Mythor gab einem der Rohnen einen Wink. Dabei sah er Fronja herantreten, mit Glair und Ejoba in ihrem Gefolge. Die Rohnin und ehemalige »Kalenderin« heftete sich in der letzten Zeit wie ein Schatten an ihre Fersen. Oft tuschelten sie miteinander.
Ihre Blicke begegneten sich nur kurz. Fronja wich ihm aus. Sie starrte auf den Fremden, und das alles andere als freundlich.
Der Rohne kehrte mit einem Bottich voll Wasser aus dem Brunnen zurück. Der Fremde trank hastig. Gerrek nutzte dies aus, um Mythor zuzuflüstern:
»Er ist bestimmt ein reicher Mann. Sicher haben ihn Plünderer überfallen und so zugerichtet. Er kam ja aus Uferrichtung auf uns zugeschwommen.«
Im Goldenen Strom schwimmen, so hatte Boozam erzählt, konnten nur wenige
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