Raub der Zauberkristalle
Häuser und Hütten schienen am senkrechten Ufer förmlich zu kleben. Jeder Winkel war ausgenutzt, auf dem sich etwas erbauen oder einfügen ließ. Wie in den Fels der zusammengeschobenen Landinseln gehauen, verliefen enge Gassen, in denen reges Treiben herrschte. Wer oder was sich da herumtrieb, vermochte Mythor noch nicht genau auszumachen. Aber die ganze Stadt schien einen finsteren Odem von Moder und Bösem auszustrahlen.
Boozams Hand legte sich schwer auf Mythors Schulter. Mit dem anderen Arm deutete er aus dem Bugfenster, das dem rechten Ufer zugekehrt war.
»Nun sieh dort!«
Der Gorganer glaubte zunächst, in eine besonders helle Ballung der Staubmassen zu blicken. Dann merkte er, daß genau das Gegenteil zutraf. Die Schleier hatten sich abermals gelichtet, und was dort in der Ferne strahlender war als der Fluß, war die andere Stadt.
Etwa dreißig gute Bogenschüsse entfernt, leuchteten weiß und wie aus reinem Elfenbein erbaut die Gebäude von Watalhoo. Der Anblick war so überwältigend, daß sich Mythor von der Stadt wie magisch angezogen fühlte. Jedes Haus dort mußte ein Palast sein. Soweit der Gorganer es überhaupt jetzt schon beurteilen konnte, waren Watalhoo und Visavy etwa gleichgroß. Sie kamen ihm wie zwei ungleiche Geschwister vor – das eine strahlend und gut, das andere…
Die Staublücken schlossen sich im ewigen Strom. Boozam zog seine Hand zurück und legte sie um den Griff des Hakenschwerts.
»Dies soll dir als erster Eindruck genügen«, sagte der Schleusenwärter. »In Watalhoo leben die Reichen und die Mächtigen, auch wenn sie nicht alle vom Licht erfüllt sind. In Visavy dagegen hausen nur Diebe, Betrüger, Meuchelmörder – doch dafür dreimal soviel.« Er schien etwas zu suchen. »Selbst der Fährbetrieb ist schon eingestellt worden. Zu normalen Zeiten fahren regelmäßig große Fähren zwischen den Städten. Ich ahnte wirklich nicht, daß es schon so spät ist.«
Und wieder wich er jeder Frage nach dem geheimnisvollen Todesstern aus. Boozam wies den Carlumern den Weg in den Hafen von Visavy, drei mächtige Plattformen, die wie die Enden einer mächtigen Forke in den Goldenen Strom stießen. Von ihnen schien Schmutz, dunkler Nebel auszugehen, der über der ganzen Ansiedlung lag.
Es ist wie der Odem des Todes! dachte Mythor.
Carlumen blieb in Kampfbereitschaft, auch als die fliegende Stadt an einer der Plattformen anlegte. Der Hafen glich einer einzigen großen Festung im Belagerungszustand. Überall standen bis an die Zähne bewaffnete Aborginos, aber auch wie Ritter gerüstete Wesen anderer Herkunft. Zwischen ihnen entdeckte Mythor Mischkreaturen und solche, wie sie nur die Schattenzone hervorbrachte.
»Wollt ihr wissen, was ich davon halte?« fragte Sadagar. »Visavy kommt mir vor wie ein einziger Schlammpfuhl – etwas, das die Dämonen hier an das Ufer des Goldenen Stromes geklebt haben.«
Ist es dir immer noch gleich, wohin man uns gelotst hat? schien Boozams Blick Mythor zu fordern.
»Mir nicht!« sagte er laut und dröhnend. »Ich bin nicht ganz ohne Einfluß, und der Domo ist auf der anderen Seite. Es gibt immer noch einige letzte Fähren, die einflußreiche Männer in ihre Paläste zurückbringen, wenn sie in Visavy zu tun hatten.«
»Und das heißt für uns?« wollte Mythor wissen.
»Daß einige von euch mit mir an Land gehen. Wir werden versuchen, eine Fahrerlaubnis für Carlumen nach Watalhoo zu bekommen. Aber habt Augen im Rücken und Ohren in der Luft! Ein Dolch ist schnell aus dem Dunkeln geschleudert, und hier gibt es niemanden, der euch hilft!«
*
Mythor nahm Sadagar, Gerrek und Tertish mit, dazu zehn gut ausgebildete Rohnen. Das Angebot der Wälsen, sich ihm ebenfalls anzuschließen, lehnte er ab. Er hatte sie während seiner Abwesenheit lieber an Bord von Carlumen. Robbin hätte ihm als Begleitung gepaßt, doch der Pfader war immer noch zu schwach auf den Beinen.
Die Aborginos begegneten Boozam mit einigem Respekt. Der Schleusenwärter wußte ihn sich bei anderen zu verschaffen. Mit drohenden Gebärden schritt er an der Spitze der kleinen Gruppe, immer von den drei Kaezinnen umstreift.
Die Plattformen nicht nur des Hafens waren Bollwerke. Auf schon vorhandene Festungswälle wurden in fiebriger Eile weitere gesetzt. Es gab nur wenige Durchlässe, dafür um so mehr Schießscharten, Geschütztürme und Kessel an langen Ketten. Mythor kam sich wahrhaftig wie in einer Trutzburg vor, in die alle waffenfähigen Mannen eines ganzen Landes zum Kampf
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