Raus aus dem Schneckenhaus
für desinteressiert oder sogar arrogant gehalten. Aufgrund dieses falschen Etiketts haben sie – ähnlich wie depressive Patienten – eine geringere Chance, dass andere den ersten Schritt unternehmen und sie aus ihrem Schneckenhaus herausholen.
Vermeiden Sie es so weit wie möglich, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen? Haben Sie Angst vor Beurteilung? Haben Sie Angst vor Kritik und Ablehnung? Sehnen Sie sich gleichzeitig sehr nach Anerkennung und Bestätigung? Fühlen Sie sich in sozialen Situationen körperlich und seelisch so belastet, dass Sie ernsthaft darunter leiden? Haben Ihre sozialen Ängste bereits zu Beeinträchtigungen Ihrer schulischen, beruflichen und sozialen Funktionsfähigkeit geführt? Wenn Sie alle sechs Fragen mit Ja beantwortet haben, leiden Sie höchstwahrscheinlich unter einer sozialen Phobie.
Eine soziale Phobie ist eine krankheitswertige Mittelpunktsangst, eine folgenschwere Angst vor Blamage, kritischer Beurteilung und Ablehnung . Sie besteht in der deutlichen Furcht vor Situationen, in denen man im Zentrum der Aufmerksamkeit steht, oder in der Vermeidung derartiger Situationen. Wenn – wie häufig der Fall – Beurteilungssituationen nicht vermieden werden können, werden diese nur mit intensiver Angst bzw. beträchtlichem Unwohlsein ertragen. Dabei treten belastende körperliche Symptome auf, die die Angst verstärken. Die Betroffenen fürchten, ihr Schwitzen, Erröten oder Händezittern könnte als Nervenschwäche ausgelegt werden. Sie fürchten, Übelkeit könnte zu peinlichem Erbrechen, Schwindel zu einer Ohnmacht führen; Mundtrockenheit, Atemnot und Beklemmungsgefühle könnten den Sprachfluss beeinträchtigen, Harn- oder Stuhldrang wegen des häufigen WC-Besuchs auffällig machen; unangenehmes Herzklopfen könnte zu sichtbarer Irritiertheit führen.
Die Konfrontation mit den gefürchteten Situationen (oft bereits deren Erwartung) löst fast immer eine unmittelbare Angstreaktion aus, die sich bei der Hälfte der Sozialphobiker bis zu einer Panikattacke steigern kann. Eine situationsspezifische Panikattacke wird durch das nur vorgestellte oder das tatsächliche Aufsuchen einer sozialen Situation ausgelöst und kann dieselben Symptome umfassen wie eine spontane (ohne äußere Auslöser verursachte) Panikattacke, die plötzlich auftritt, nur relativ kurz andauert (5–30 Minuten) und in einer massiven körperlichen Aktivierung bei gleichzeitiger totaler körperlicher und oft auch geistiger Blockierung besteht. Eine spontane Panikattacke geht mit einem heftigen Adrenalinstoß einher, der körperliche Symptome bewirkt wie: Herzrasen, Schweißausbrüche, Atemnot, Beklemmungsgefühle, Brustschmerzen, Mundtrockenheit, Übelkeit, Schwindel, Benommenheit, Zittern, Hitze- oder Kältegefühle, Gefühllosigkeit oder Kribbeln, aber auch geistig-psychische Symptome wie Todesangst, Entfremdungsgefühle sich selbst gegenüber (Depersonalisation) oder der Umwelt gegenüber (Derealisation),Angst vor Kontrollverlust, davor, verrückt zu werden oder »auszuflippen«.
Panikattacken bei Menschen mit einer sozialen Phobie gehen nicht mit Todesangst oder Verrücktheitsbefürchtungen einher wie bei Menschen mit einer Panikstörung, sondern sind Ausdruck einer starken sozialen Bedrohungsangst, der Angst vor dem »sozialen Tod«, der Furcht vor dem gesellschaftlichen Versagen in unserer Leistungsgesellschaft. Vor diesem Hintergrund wird verständlich, warum soziale Phobien im Zunehmen begriffen sind.
Vorübergehende soziale Ängste sind im Kindes- und Jugendalter relativ häufig. Die Diagnose einer sozialen Phobie kann aber auch schon bei Kindern ab dem 8. Lebensjahr gestellt werden. Zur Abgrenzung gegenüber vorübergehenden entwicklungsbedingten Rückzugstendenzen wird bei Kindern und Jugendlichen ein Zeitraum von mindestens sechs Monaten gefordert. Bei Erwachsenen ist dagegen keine bestimmte Zeitdauer der Störung nötig, sondern nur ein bestimmtes Beeinträchtigungsausmaß.
Die Furcht vor der prüfenden Betrachtung durch andere Menschen gilt nur dann als krankheitswertig, wenn eine deutliche emotionale Belastung und eine erhebliche soziale Behinderung durch die Angstsymptome oder das Vermeidungsverhalten gegeben sind. Gleichzeitig muss auch die Einsicht vorhanden sein, dass das Ausmaß der Angstreaktion übertrieben ist: Betroffene erkennen sehr wohl, dass ihre Ängste übersteigert und unbegründet sind, sie können ihre Einstellungen und ihre Verhaltensweisen aber dennoch nicht ändern.
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