Raus aus der Suchtfalle
Wir nehmen bevorzugt das wahr, was wir kennen, was uns vertraut ist, was wir wahrnehmen wollen. Unterschiedliche psychologische Mechanismen schützen uns davor, das bewusst werden zu lassen, an uns herankommen zu lassen, was nicht in unsere Welt passt, was wir nicht wahrhaben wollen und können.
Verdrängung hat auch eine psychologische Schutzfunktion
Verleugnung, Verdrängung, Bagatellisierung sind aktive Vorgänge, die einen psychologischen Schutz darstellen. Es wäre schlimm, wenn wir all das Ängstigende, mit dem wir nicht gut umgehen könnten, ganz nahe an uns heranlassen würden. Bei Menschen, die an einer Depression erkrankt sind, wird immer wieder sichtbar, was passieren kann, wenn Schlechtes, Bedrohliches und Schwächendes zu nahe kommen, zu großen Einfluss ausüben.
Tipp
Man kann »Krankheitseinsicht« nicht erzwingen
Bei der Psychotherapie von suchtkranken Menschen ist es wichtig, ein realistisches Problembewusstsein zu schaffen, allerdings ohne sie dadurch zu schwächen. Sind die Versuche, das Problembewusstsein zu vergrößern, zu massiv und konfrontativ, zu wenig wertschätzend und zu demütigend, werden sie oft wenig erreichen. Krankheitseinsicht, Problembewusstsein und ein »nüchterner Blick« auf die eigenen Erlebens- und Verhaltensweisen benötigen Wertschätzung, authentische Begegnung, spürbares Interesse der Umgebung am Wachsen des Betroffenen, nicht an seinem Niedergang.
Wahrnehmungsabwehr kann ein Schutz sein. In einigen Untersuchungen zeigte sich, dass Menschen, die die Wahrheit nicht nahe an sich heranlassen, nachdem sie von ihrer Krebsdiagnose erfahren haben, sogar eine höhere Lebensqualität und längeres Überleben haben als diejenigen, die sich jetzt intensiv mit dem Problem auseinandersetzen und es gewissermaßen verinnerlichen.
Der Schutz vor der Wahrnehmung von Bedrohlichem ist auch bei einigen Menschen wirksam, die in eine Suchtproblematik geraten. Sie tun sich schwer damit, den Konsum als eigenen Lebensbereich wahrzunehmen, überden sie zunehmend die Kontrolle verlieren. Angehörige von Betroffenen und Helfende aus der Umgebung oder dem Gesundheitssystem erleben das dann als unterentwickeltes Problembewusstsein oder gar als »fehlende Krankheitseinsicht«. Diese fehlende Krankheitseinsicht kann im weiteren Verlauf deshalb problematisch sein, weil sie nicht zum Wunsch führt, etwas zu verändern.
Nicht alle Betroffenen haben ein zu geringes Problembewusstsein. Uns ist an dieser Stelle wichtig, dieses Phänomen nicht als einen Wesenszug, der für Unehrlichkeit und Schlechtes steht, sondern als einen »normalen« Schutzmechanismus zu verstehen, der in vielen Lebensbereichen auch hilfreich und stärkend sein kann.
Das Leben dreht sich nur noch um das Suchtmittel
Frau S., die auf → S. 13 beschrieben hat, dass sie seit Jahren den Tag mit Alkohol beginnt, beschreibt, wie sich ein regelrechter Teufelskreis entwickeln kann, bei dem der Alkohol immer mehr in den Mittelpunkt des Lebens und des Alltags rückt.
»Nichts ging mehr ohne Alkohol«
Mein Selbstbewusstsein wurde immer geringer. Ich habe mir überhaupt nichts mehr zugetraut und mich immer mehr zurückgezogen. Ein normales Leben, so wie ich es früher hatte – ich war eigentlich gern mit Freunden zusammen und habe etwas unternommen –, fand überhaupt nicht mehr statt. Im Grunde war ich nur noch in meiner Wohnung. Alles hat mir Angst gemacht. Wenn ich irgendetwas erledigen und aus dem Haus gehen musste, ging das nur, wenn ich mich vorher mit Alkohol beruhigt hatte. Meine Stimmung war nur dann erträglich, wenn ich getrunken hatte. Der Alkohol wurde zu meinem einzigen Halt und Retter.
Ihre Beschreibungen zeigen einen wichtigen Mechanismus bei der Entwicklung einer Abhängigkeit: Frau S. erlebt die beruhigende, angstlösende Wirkung von Alkohol. Sie vernachlässigt»gesündere« Fähigkeiten und Strategien zur Problembewältigung. Damit verlässt sie sich zunehmend weniger auf ihre eigenen persönlichen Stärken. Stattdessen verlässt sie sich auf die Wirkung des Alkohols. Frau S. schreibt den Erfolg, die Wohnung verlassen und Dinge erledigen zu können, nicht sich selbst, sondern dem Alkohol zu. Im psychologischen Fachjargon wird dies so beschrieben: Frau S. attribuiert den Erfolg external.
Es ist hilfreich, seinen inneren Stärken zu vertrauen
Für Menschen ist es jedoch eher hilfreich, Erfolg in unterschiedlichen Lebensbereichen auf ihre eigenen Fähigkeiten und Maßnahmen zurückzuführen (den Erfolg internal zu
Weitere Kostenlose Bücher